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Elemente des Antisemitismus - Grenzen der Aufklaerung V
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Lorbas
2008-11-07 17:17:11 UTC
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Elemente des Antisemitismus - Grenzen der Aufklärung
Von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno
aus: Dialektik der Aufklärung - Philosophische Fragmente.
Elektronische Quelle: http://www.nadir.org
V
"Ich kann dich ja nicht leiden - Vergiß das nicht so leicht" sagt
Siegfried
zu Mime, der um seine Liebe wirbt. Die alte Antwort aller Antisemiten ist
die Berufung auf Idiosynkrasie. Davon, ob der Inhalt der Idiosynkrasie zum
Begriff erhoben, das Sinnlose seiner selbst innewird, hängt die
Emanzipation der Gesellschaft vom Antisemitismus ab. Idiosynkrasie aber
heftet sich an Besonderes. Als natürlich gilt das Allgemeine, das, was
sich in die Zweckzusammenhänge der Gesellschaft einfügt. Natur aber, die
sich nicht durch die Kanäle der begrifflichen Ordnung zum Zweckvollen
geläutert hat, der schrille Laut des Griffels auf Schiefer, der durch und
durch geht, der haut goût, der an Dreck und Verwesung gemahnt, der
Schweiß, der auf der Stirn des Beflissenen sichtbar wird; was immer nicht
ganz mitgekommen ist oder die Verbote verletzt, in denen der Fortschritt
der Jahrhunderte sich sedimentiert, wirkt penetrant und fordert
zwangshaften Abscheu heraus.
Die Motive, auf die Idiosynkrasie anspricht, erinnern an die Herkunft. Sie
stellen Augenblicke der biologischen Urgeschichte her: Zeichen der Gefahr,
bei deren Laut das Haar sich sträubte und das Herz stillstand. In der
Idiosynkrasie entziehen sich einzelne Organe wieder der Herrschaft des
Subjekts; selbständig gehorchen sie biologisch fundamentalen Reizen. Das
Ich, das in solchen Reaktionen, wie der Erstarrung von Haut, Muskel, Glied
sich erfährt, ist ihrer doch nicht ganz mächtig. Für Augenblicke
vollziehen sie die Angleichung an die umgebende unbewegte Natur. Indem
aber das Bewegte dem Unbewegten, das entfaltetere Leben bloßer Natur sich
nähert, entfremdet es sich ihr zugleich, denn unbewegte Natur, zu der, wie
Daphne, Lebendiges in höchster Erregung zu werden trachtet, ist einzig der
äußerlichsten, der räumlichen Beziehung fähig. Der Raum ist die absolute
Entfremdung. Wo Menschliches werden will wie Natur, verhärtet es sich
zugleich gegen sie. Schutz als Schrecken ist eine Form der Mimikry. Jene
Erstarrungsreaktionen am Menschen sind archaische Schemata der
Selbsterhaltung: das Leben zahlt den Zoll für seinen Fortbestand durch
Angleichung ans Tote.
Zivilisation hat anstelle der organischen Anschmiegung ans andere,
anstelle
des eigentlich mimetischen Verhaltens, zunächst in der magischen Phase,
die organisierte Handhabung der Mimesis und schließlich, in der
historischen, die rationale Praxis, die Arbeit, gesetzt. Unbeherrschte
Mimesis wird verfemt. Der Engel mit dem feurigen Schwert, der die Menschen
aus dem Paradies auf die Bahn des technischen Fortschritts trieb, ist
selbst das Sinnbild solchen Fortschritts. Die Strenge, mit welcher im
Laufe der Jahrtausende die Herrschenden ihrem eigenen Nachwuchs wie den
beherrschten Massen den Rückfall in mimetische Daseinsweisen abschnitten,
angefangen vom religiösen Bildverbot über die Pädagogik, die den Kindern
abgewöhnt, kindisch zu sein, ist die Bedingung der Zivilisation.
Gesellschaftliche und individuelle Erziehung bestärkt die Menschen in der
objektivierenden Verhaltensweise von Arbeitenden und bewahrt sie davor,
sich wieder aufgehen zu lassen im Auf und Nieder der umgebenden Natur.
Alles Abgelenktwerden, ja, alle Hingabe hat einen Zug von Mimikry. In der
Verhärtung dagegen ist das Ich geschmiedet worden. Durch seine
Konstitution vollzieht sich der Übergang von reflektorischer Mimesis zu
beherrschter Reflexion. Anstelle der leiblichen Angleichung an Natur tritt
die "Rekognition im Begriff" die Befassung des Verschiedenen unter
Gleiches. Die Konstellation aber, unter der Gleichheit sich herstellt, die
unmittelbare der Mimesis wie die vermittelte der Synthesis, die
Angleichung ans Ding im blinden Vollzug des Lebens wie die Vergleichung
des Verdinglichten in der wissenschaftlichen Begriffsbildung, bleibt die
des Schreckens. Die Gesellschaft setzt die drohende Natur fort als den
dauernden, organisierten Zwang, der, in den Individuen als konsequente
Selbsterhaltung sich reproduzierend, auf die Natur zurückschlägt als
gesellschaftliche Herrschaft über die Natur. Wissenschaft ist
Wiederholung, verfeinert zu beobachteter Regelmäßigkeit, aufbewahrt in
Stereotypen. Die mathematische Formel ist bewußt gehandhabte Regression,
wie schon der Zauber-Ritus war; sie ist die sublimierteste Betätigung von
Mimikry. Technik vollzieht die Anpassung ans Tote im Dienste der
Selbsterhaltung nicht mehr wie Magie durch körperliche Nachahmung der
äußeren Natur, sondern durch Automatisierung der geistigen Prozesse, durch
ihre Umwandlung in blinde Abläufe. Mit ihrem Triumph werden die
menschlichen Äußerungen sowohl beherrschbar als zwangsmäßig. Von der
Angleichung an die Natur bleibt allein die Verhärtung gegen diese übrig.
Die Schutz- und Schreckfarbe heute ist die blinde Naturbeherrschung, die
mit der weitblickenden Zweckhaftigkeit identisch ist.
In der bürgerlichen Produktionsweise wird das untilgbar mimetische Erbe
aller Praxis dem Vergessen überantwortet. Das erbarmungslose Verbot des
Rückfalls wird selber zum bloßen Verhängnis, die Versagung ist so total
geworden, daß sie nicht mehr zum bewußten Vollzug gelangt. Die von
Zivilisation Geblendeten erfahren ihre eigenen tabuierten mimetischen Züge
erst an manchen Gesten und Verhaltensweisen, die ihnen bei anderen
begegnen, und als isolierte Reste, als beschämende Rudimente in der
rationalisierten Umwelt auffallen. Was als Fremdes abstößt, ist nur allzu
vertraut. Es ist die ansteckende Gestik der von Zivilisation unterdrückten
Unmittelbarkeit: Berühren, Anschmiegen, Beschwichtigen, Zureden. Anstößig
heute ist das Unzeitgemäße jener Regungen. Sie scheinen die längst
verdinglichten menschlichen Beziehungen wieder in persönliche
Machtverhältnisse zurückzuübersetzen, indem sie den Käufer durch
Schmeicheln, den Schuldner durch Drohen, den Gläubiger durch Flehen zu
erweichen suchen. Peinlich wirkt schließlich jede Regung überhaupt,
Aufregung ist minder. Aller nicht-manipulierte Ausdruck erscheint als die
Grimasse, die der manipulierte - im Kino, bei der Lynchjustiz, in der
Führer-Rede - immer war. Die undisziplinierte Mimik aber ist das
Brandzeichen der alten Herrschaft, in die lebende Substanz der
Beherrschten eingeprägt und kraft eines unbewußten Nachahmungsprozesses
durch jede frühe Kindheit hindurch auf Generationen vererbt, vom
Trödeljuden auf den Bankier. Solche Mimik fordert die Wut heraus, weil sie
angesichts der neuen Produktionsverhältnisse die alte Angst zur Schau
trägt, die man, um in ihnen zu überleben, selbst vergessen mußte. Auf das
zwangshafte Moment, auf die Wut des Quälers und des Gequälten, die
ungeschieden in der Grimasse wieder erscheinen, spricht die eigene Wut im
Zivilisierten an. Dem ohnmächtigen Schein antwortet die tödliche
Wirklichkeit, dem Spiel der Ernst.
Gespielt wirkt die Grimasse, weil sie, anstatt ernsthaft Arbeit zu tun,
lieber die Unlust darstellt. Sie scheint sich dem Ernst des Daseins zu
entziehen, indem sie ihn fessellos eingesteht: so ist sie unecht. Aber
Ausdruck ist der schmerzliche Widerhall einer Übermacht, Gewalt, ehe laut
wird in der Klage. Er ist stets übertrieben, wie aufrichtig er auch sei,
denn, wie in jedem Werk der Kunst, scheint in jedem Klagelaut die ganze
Welt zu liegen. Angemessen ist nur die Leistung. Sie und nicht Mimesis
vermag dem Leiden Abbruch zu tun. Aber ihre Konsequenz ist das unbewegte
und ungerührte Antlitz, schließlich am Ende des Zeitalters das Babygesicht
der Männer der Praxis, der Politiker, Pfaffen, Generaldirektoren und
Racketeers. Die heulende Stimme faschistischer Hetzredner und Lagervögte
zeigt die Kehrseite desselben gesellschaftlichen Sachverhalts. Das Geheul
ist so kalt wie das Geschäft. Sie enteignen noch den Klagelaut der Natur
und machen ihn zum Element ihrer Technik. Ihr Gebrüll ist fürs Pogrom, was
die Lärmvorrichtung für die deutsche Fliegerbombe ist: der
Schreckensschrei, der Schrecken bringt, wird angedreht. Vom Wehlaut des
Opfers, der zuerst Gewalt beim Namen rief, ja, vom bloßen Wort, das die
Opfer meint: Franzose, Neger, Jude, lassen sie sich absichtlich in die
Verzweiflung von Verfolgten versetzen, die zuschlagen müssen. Sie sind das
falsche Konterfei der schreckhaften Mimesis. Sie reproduzieren die
Unersättlichkeit der Macht in sich, vor der sie sich fürchten. Alles soll
gebraucht werden, alles soll ihnen gehören. Die bloße Existenz des anderen
ist das Ärgernis. Jeder andere "macht sich breit" und muß in seine
Schranken verwiesen werden, die des schrankenlosen Graues. Was
Unterschlupf sucht, soll ihn nicht finden; denen, die ausdrücken, wonach
alle süchtig sind, den Frieden, die Heimat, die Freiheit: den Nomaden und
Gauklern hat man seit je das Heimatrecht vermehrt. Was einer fürchtet,
wird ihm angetan. Selbst die letzte Ruhe soll keine sein. Die Verwüstung
der Friedhöfe ist keine Ausschreitung des Antisemitismus, sie ist er
selbst. Die Vertriebenen erwecken zwangshaft die Lust zu vertreiben. Am
Zeichen, das Gewalt an ihnen hinterlassen hat, entzündet endlos sich
Gewalt. Getilgt soll werden, was bloß vegetieren will. In den
chaotisch-regelhaften Fluchtreaktionen der niederen Tiere, in den Figuren
des Gewimmels, in den konvulsivischen Gesten von Gemarterten stellt sich
dar, was am armen Leben trotz allem sich nicht ganz beherrschen läßt: der
mimetische Impuls. Im Todeskampf der Kreatur, am äußersten Gegenpol der
Freiheit, scheint die Freiheit unwiderstehlich als die durchkreuzte
Bestimmung der Materie durch. Dagegen richtet sich die Idiosynkrasie, die
der Antisemitismus als Motiv vorgibt.
Die seelische Energie, die der politische Antisemitismus einspannt, ist
solche rationalisierte Idiosynkrasie. Alle die Vorwände, in denen Führer
und Gefolgschaft sich verstehen, taugen dazu, daß man ohne offenkundige
Verletzung des Realitätsprinzips, gleichsam in Ehren, der mimetischen
Verlockung nachgeben kann. Sie können den Juden nicht leiden und imitieren
ihn immerzu. Kein Antisemit, dem es nicht im Blute läge, nachzuahmen, was
ihm Jude heißt. Das sind immer selbst mimetische Chiffren: die
argumentierende Handbewegung, der singende Tonfall, wie er unabhängig vom
Urteilssinn ein bewegtes Bild von Sache und Gefühl malt, die Nase, das
physiognomische principium individuationis, ein Schriftzeichen gleichsam,
das dem Einzelnen den besonderen Charakter ins Gesicht schreibt. In den
vieldeutigen Neigungen der Riechlust lebt die alte Sehnsucht nach dem
Unteren fort, nach der unmittelbaren Vereinigung mit umgebender Natur, mit
Erde und Schlamm. Von allen Sinnen zeugt der Akt des Reichens, das
angezogen wird, ohne zu vergegenständlichen, am sinnlichsten von dem
Drang, ans andere sich zu verlieren und gleich zu werden. Darum ist
Geruch, als Wahrnehmung wie als Wahrgenommenes - beide werden eins im
Vollzug - mehr Ausdruck als andere Sinne. Im Sehen bleibt man, wer man
ist, im Riechen geht man auf. So gilt der Zivilisation Geruch als Schmach,
als Zeichen niederer sozialer Schichten, minderer Rassen und unedler
Tiere. Dem Zivilisierten ist Hingabe an solche Lust nur gestattet, wenn
das Verbot durch Rationalisierung im Dienst wirklich oder scheinbar
praktischer Zwecke suspendiert wird. Man darf dem verpönten Trieb frönen,
wenn außer Zweifel steht, daß es seiner Ausrottung gilt. Das ist die
Erscheinung des Spaßes oder des Ulks. Er ist die elende Parodie der
Erfüllung. Als verachtete, sich selbst verachtende, wird die mimetische
Funktion hämisch genossen. Wer Gerüche wittert, um sie zu
tilgen, "schlechte" Gerüche, darf das Schnuppern nach Herzenslust
nachahmen, das am Geruch seine unrationalisierte Freude hat. Indem der
Zivilisierte die versagte Regung durch seine unbedingte Identifikation mit
der versagenden Instanz desinfiziert, wird sie durchgelassen. Wenn sie die
Schwelle passiert, stellt Lachen sich ein. Das ist das Schema der
antisemitischen Reaktionsweise. Um den Augenblick der autoritären Freigabe
des Verbotenen zu zelebrieren, versammeln sich die Antisemiten, er allein
macht sie zum Kollektiv, er konstituiert die Gemeinschaft der Artgenossen.
Ihr Getöse ist das organisierte Gelächter. Je grauenvoller Anklagen und
Drohungen, je größer die Wut, um so zwingender zugleich der Hohn. Wut,
Hohn und vergiftete Nachahmung sind eigentlich dasselbe. Der Sinn des
faschistischen Formelwesens, der ritualen Disziplin, der Uniformen und der
gesamten vorgeblich irrationalen Apparatur ist es, mimetisches Verhalten
zu ermöglichen. Die ausgeklügelten Symbole, die jeder konterrevolutionären
Bewegung eigen sind, die Totenköpfe und Vermummungen, der barbarische
Trommelschlag, das monotone Wiederholen von Worten und Gesten sind
ebensoviel organisierte Nachahmung magischer Praktiken, die Mimesis der
Mimesis. Der Führer mit dem Schmierengesicht und dem Charisma der
andrehbaren Hysterie führt den Reigen. Seine Vorstellung leistet
stellvertretend und im Bilde, was allen anderen in der Realität vermehrt
ist. Hitler kann gestikulieren wie ein Clown, Mussolini falsche Töne wagen
wie ein Provinztenor, Goebbels geläufig reden wie der jüdische Agent, den
er zu ermorden empfiehlt, Coughlin Liebe predigen wie nur der Heilend,
dessen Kreuzigung er darstellt, auf daß stets wieder Blut vergossen werde.
Der Faschismus ist totalitär auch darin, daß er die Rebellion der
unterdrückten Natur gegen die Herrschaft unmittelbar der Herrschaft
nutzbar zu machen strebt.
Dieser Mechanismus bedarf der Juden. Ihre künstlich gesteigerte
Sichtbarkeit wirkt auf den legitimen Sohn der gentilen Zivilisation
gleichsam als magnetisches Feld. Indem der Verwurzelte an seiner Differenz
vom Juden die Gleichheit, das Menschliche, gewahrt, wird in ihm das Gefühl
des Gegensatzes, der Fremdheit, induziert. So werden die tabuierten, der
Arbeit in ihrer herrschenden Ordnung zuwiderlaufenden Regungen in
konformierende Idiosynkrasien umgesetzt. Die ökonomische Position der
Juden, der letzten betrogenen Betrüger der liberalistischen Ideologie,
bietet dagegen keinen zuverlässigen Schutz. Da sie zur Erzeugung jener
seelischen Induktionsströme so geeignet sind, werden sie zu solchen
Funktionen willenlos bereitgestellt. Sie teilen das Schicksal der
rebellierenden Natur, für die sie der Faschismus einsetzt: sie werden
blind und scharfsichtig gebraucht. Es verschlägt wenig, ob die Juden als
Individuen wirklich noch jene mimetischen Züge tragen, die böse Ansteckung
bewirken, oder ob sie jeweils unterschoben werden. Haben die ökonomischen
Machthaber ihre Angst vor der Heranziehung faschistischer Sachwalter erst
einmal überwunden, so stellt sich den Juden gegenüber die Harmonie der
Volksgemeinschaft automatisch her. Sie werden von der Herrschaft
preisgegeben, wenn diese kraft ihrer fortschreitenden Entfremdung von
Natur in bloße Natur zurückschlägt. Den Juden insgesamt wird der Vorwurf
der verbotenen Magie, des blutigen Rituals gemacht. Verkleidet als Anklage
erst feiert das unterschwellige Gelüste der Einheimischen, zur mimetischen
Opferpraxis zurückzukehren, in deren eigenem Bewußtsein fröhliche Urständ.
Ist alles Grauen der zivilisatorisch erledigten Vorzeit durch Projektion
auf die Juden als rationales Interesse rehabilitiert, so gibt es kein
Halten mehr. Es kann real vollstreckt werden, und die Vollstreckung des
Bösen übertrifft noch den bösen Inhalt der Projektion. Die völkischen
Phantasien jüdischer Verbrechen, der Kindermorde und sadistischen Exzesse,
der Volksvergiftung und internationalen Verschwörung definieren genau den
antisemitischen Wunschtraum und bleiben hinter seiner Verwirklichung
zurück. Ist es einmal so weit, dann erscheint das bloße Wort Jude als die
blutige Grimasse, deren Abbild die Hakenkreuzfahne - Totenschädel und
gerädertes Kreuz in einem - entrollt; daß einer Jude heißt, wirkt als die
Aufforderung, ihn zuzurichten, bis er dem Bilde gleicht.
Zivilisation ist der Sieg der Gesellschaft über Natur, der alles in bloße
Natur verwandelt.
Die Juden selber haben daran durch die Jahrtausende teilgehabt, mit
Aufklärung nicht weniger als mit Zynismus. Das älteste überlebende
Patriarchat, die Inkarnation des Monotheismus, haben sie die Tabus in
zivilisatorische Maximen verwandelt, da die anderen noch bei der Magie
hielten. Den Juden schien gelungen, worum das Christentum vergebens sich
mühte: die Entmächtigung der Magie vermöge ihrer eigenen Kraft, die als
Gottesdienst sich wider sich selber kehrt. Sie haben die Angleichung an
Natur nicht sowohl ausgerottet als sie aufgehoben in den reinen Pflichten
des Rituals. Damit haben sie ihr das versöhnende Gedächtnis bewahrt, ohne
durchs Symbol in Mythologie zurückzufallen. So gelten sie der
fortgeschrittenen Zivilisation für zurückgeblieben und allzu weit voran,
für ähnlich und unähnlich, für gescheit und dumm. Sie werden dessen
schuldig gesprochen, was sie, als die ersten Bürger, zuerst in sich
gebrochen haben: der Verführbarkeit durchs Untere, des Dranges zu Tier und
Erde, des Bilderdienstes. Weil sie den Begriff des Koscheren erfunden
haben, werden sie als Schweine verfolgt. Die Antisemiten machen sich zu
Vollstreckern des alten Testaments: sie sorgen dafür, daß die Juden, da
sie vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, zu Erde werden.
(Referenz: http://www.antisemitismus.net/theorie/adorno-5.htm)
Peter Walther
2008-11-07 17:21:24 UTC
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Elemente des Antisemitismus - Grenzen der Aufklärung
Von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno
aus: Dialektik der Aufklärung - Philosophische Fragmente. Elektronische
Quelle: http://www.nadir.org
"Ich kann dich ja nicht leiden - Vergiß das nicht so leicht" sagt
Siegfried
zu Mime, der um seine Liebe wirbt. Die alte Antwort aller Antisemiten
ist die Berufung auf Idiosynkrasie. Davon, ob der Inhalt der
Idiosynkrasie zum Begriff erhoben, das Sinnlose seiner selbst innewird,
hängt die Emanzipation der Gesellschaft vom Antisemitismus ab.
Idiosynkrasie aber heftet sich an Besonderes. Als natürlich gilt das
Allgemeine, das, was sich in die Zweckzusammenhänge der Gesellschaft
einfügt. Natur aber, die sich nicht durch die Kanäle der begrifflichen
Ordnung zum Zweckvollen geläutert hat, der schrille Laut des Griffels
auf Schiefer, der durch und durch geht, der haut goût, der an Dreck und
Verwesung gemahnt, der Schweiß, der auf der Stirn des Beflissenen
sichtbar wird; was immer nicht ganz mitgekommen ist oder die Verbote
verletzt, in denen der Fortschritt der Jahrhunderte sich sedimentiert,
wirkt penetrant und fordert zwangshaften Abscheu heraus.
Die Motive, auf die Idiosynkrasie anspricht, erinnern an die Herkunft.
Sie stellen Augenblicke der biologischen Urgeschichte her: Zeichen der
Gefahr, bei deren Laut das Haar sich sträubte und das Herz stillstand.
In der Idiosynkrasie entziehen sich einzelne Organe wieder der
Herrschaft des Subjekts; selbständig gehorchen sie biologisch
fundamentalen Reizen. Das Ich, das in solchen Reaktionen, wie der
Erstarrung von Haut, Muskel, Glied sich erfährt, ist ihrer doch nicht
ganz mächtig. Für Augenblicke vollziehen sie die Angleichung an die
umgebende unbewegte Natur. Indem aber das Bewegte dem Unbewegten, das
entfaltetere Leben bloßer Natur sich nähert, entfremdet es sich ihr
zugleich, denn unbewegte Natur, zu der, wie Daphne, Lebendiges in
höchster Erregung zu werden trachtet, ist einzig der äußerlichsten, der
räumlichen Beziehung fähig. Der Raum ist die absolute Entfremdung. Wo
Menschliches werden will wie Natur, verhärtet es sich zugleich gegen
sie. Schutz als Schrecken ist eine Form der Mimikry. Jene
Erstarrungsreaktionen am Menschen sind archaische Schemata der
Selbsterhaltung: das Leben zahlt den Zoll für seinen Fortbestand durch
Angleichung ans Tote.
Zivilisation hat anstelle der organischen Anschmiegung ans andere,
anstelle
des eigentlich mimetischen Verhaltens, zunächst in der magischen Phase,
die organisierte Handhabung der Mimesis und schließlich, in der
historischen, die rationale Praxis, die Arbeit, gesetzt. Unbeherrschte
Mimesis wird verfemt. Der Engel mit dem feurigen Schwert, der die
Menschen aus dem Paradies auf die Bahn des technischen Fortschritts
trieb, ist selbst das Sinnbild solchen Fortschritts. Die Strenge, mit
welcher im Laufe der Jahrtausende die Herrschenden ihrem eigenen
Nachwuchs wie den beherrschten Massen den Rückfall in mimetische
Daseinsweisen abschnitten, angefangen vom religiösen Bildverbot über
die Pädagogik, die den Kindern abgewöhnt, kindisch zu sein, ist die
Bedingung der Zivilisation. Gesellschaftliche und individuelle
Erziehung bestärkt die Menschen in der objektivierenden Verhaltensweise
von Arbeitenden und bewahrt sie davor, sich wieder aufgehen zu lassen
im Auf und Nieder der umgebenden Natur. Alles Abgelenktwerden, ja, alle
Hingabe hat einen Zug von Mimikry. In der Verhärtung dagegen ist das
Ich geschmiedet worden. Durch seine Konstitution vollzieht sich der
Übergang von reflektorischer Mimesis zu beherrschter Reflexion.
Anstelle der leiblichen Angleichung an Natur tritt die "Rekognition im
Begriff" die Befassung des Verschiedenen unter Gleiches. Die
Konstellation aber, unter der Gleichheit sich herstellt, die
unmittelbare der Mimesis wie die vermittelte der Synthesis, die
Angleichung ans Ding im blinden Vollzug des Lebens wie die Vergleichung
des Verdinglichten in der wissenschaftlichen Begriffsbildung, bleibt
die des Schreckens. Die Gesellschaft setzt die drohende Natur fort als
den dauernden, organisierten Zwang, der, in den Individuen als
konsequente Selbsterhaltung sich reproduzierend, auf die Natur
zurückschlägt als gesellschaftliche Herrschaft über die Natur.
Wissenschaft ist Wiederholung, verfeinert zu beobachteter
Regelmäßigkeit, aufbewahrt in Stereotypen. Die mathematische Formel ist
bewußt gehandhabte Regression, wie schon der Zauber-Ritus war; sie ist
die sublimierteste Betätigung von Mimikry. Technik vollzieht die
Anpassung ans Tote im Dienste der Selbsterhaltung nicht mehr wie Magie
durch körperliche Nachahmung der äußeren Natur, sondern durch
Automatisierung der geistigen Prozesse, durch ihre Umwandlung in blinde
Abläufe. Mit ihrem Triumph werden die menschlichen Äußerungen sowohl
beherrschbar als zwangsmäßig. Von der Angleichung an die Natur bleibt
allein die Verhärtung gegen diese übrig. Die Schutz- und Schreckfarbe
heute ist die blinde Naturbeherrschung, die mit der weitblickenden
Zweckhaftigkeit identisch ist.
In der bürgerlichen Produktionsweise wird das untilgbar mimetische Erbe
aller Praxis dem Vergessen überantwortet. Das erbarmungslose Verbot des
Rückfalls wird selber zum bloßen Verhängnis, die Versagung ist so total
geworden, daß sie nicht mehr zum bewußten Vollzug gelangt. Die von
Zivilisation Geblendeten erfahren ihre eigenen tabuierten mimetischen
Züge erst an manchen Gesten und Verhaltensweisen, die ihnen bei anderen
begegnen, und als isolierte Reste, als beschämende Rudimente in der
rationalisierten Umwelt auffallen. Was als Fremdes abstößt, ist nur
allzu vertraut. Es ist die ansteckende Gestik der von Zivilisation
unterdrückten Unmittelbarkeit: Berühren, Anschmiegen, Beschwichtigen,
Zureden. Anstößig heute ist das Unzeitgemäße jener Regungen. Sie
scheinen die längst verdinglichten menschlichen Beziehungen wieder in
persönliche Machtverhältnisse zurückzuübersetzen, indem sie den Käufer
durch Schmeicheln, den Schuldner durch Drohen, den Gläubiger durch
Flehen zu erweichen suchen. Peinlich wirkt schließlich jede Regung
überhaupt, Aufregung ist minder. Aller nicht-manipulierte Ausdruck
erscheint als die Grimasse, die der manipulierte - im Kino, bei der
Lynchjustiz, in der Führer-Rede - immer war. Die undisziplinierte Mimik
aber ist das Brandzeichen der alten Herrschaft, in die lebende Substanz
der Beherrschten eingeprägt und kraft eines unbewußten
Nachahmungsprozesses durch jede frühe Kindheit hindurch auf
Generationen vererbt, vom Trödeljuden auf den Bankier. Solche Mimik
fordert die Wut heraus, weil sie angesichts der neuen
Produktionsverhältnisse die alte Angst zur Schau trägt, die man, um in
ihnen zu überleben, selbst vergessen mußte. Auf das zwangshafte Moment,
auf die Wut des Quälers und des Gequälten, die ungeschieden in der
Grimasse wieder erscheinen, spricht die eigene Wut im Zivilisierten an.
Dem ohnmächtigen Schein antwortet die tödliche Wirklichkeit, dem Spiel
der Ernst.
Gespielt wirkt die Grimasse, weil sie, anstatt ernsthaft Arbeit zu tun,
lieber die Unlust darstellt. Sie scheint sich dem Ernst des Daseins zu
entziehen, indem sie ihn fessellos eingesteht: so ist sie unecht. Aber
Ausdruck ist der schmerzliche Widerhall einer Übermacht, Gewalt, ehe
laut wird in der Klage. Er ist stets übertrieben, wie aufrichtig er
auch sei, denn, wie in jedem Werk der Kunst, scheint in jedem Klagelaut
die ganze Welt zu liegen. Angemessen ist nur die Leistung. Sie und
nicht Mimesis vermag dem Leiden Abbruch zu tun. Aber ihre Konsequenz
ist das unbewegte und ungerührte Antlitz, schließlich am Ende des
Zeitalters das Babygesicht der Männer der Praxis, der Politiker,
Pfaffen, Generaldirektoren und Racketeers. Die heulende Stimme
faschistischer Hetzredner und Lagervögte zeigt die Kehrseite desselben
gesellschaftlichen Sachverhalts. Das Geheul ist so kalt wie das
Geschäft. Sie enteignen noch den Klagelaut der Natur und machen ihn zum
Element ihrer Technik. Ihr Gebrüll ist fürs Pogrom, was die
Lärmvorrichtung für die deutsche Fliegerbombe ist: der
Schreckensschrei, der Schrecken bringt, wird angedreht. Vom Wehlaut des
Opfers, der zuerst Gewalt beim Namen rief, ja, vom bloßen Wort, das die
Opfer meint: Franzose, Neger, Jude, lassen sie sich absichtlich in die
Verzweiflung von Verfolgten versetzen, die zuschlagen müssen. Sie sind
das falsche Konterfei der schreckhaften Mimesis. Sie reproduzieren die
Unersättlichkeit der Macht in sich, vor der sie sich fürchten. Alles
soll gebraucht werden, alles soll ihnen gehören. Die bloße Existenz des
anderen ist das Ärgernis. Jeder andere "macht sich breit" und muß in
seine Schranken verwiesen werden, die des schrankenlosen Graues. Was
Unterschlupf sucht, soll ihn nicht finden; denen, die ausdrücken,
wonach alle süchtig sind, den Frieden, die Heimat, die Freiheit: den
Nomaden und Gauklern hat man seit je das Heimatrecht vermehrt. Was
einer fürchtet, wird ihm angetan. Selbst die letzte Ruhe soll keine
sein. Die Verwüstung der Friedhöfe ist keine Ausschreitung des
Antisemitismus, sie ist er selbst. Die Vertriebenen erwecken zwangshaft
die Lust zu vertreiben. Am Zeichen, das Gewalt an ihnen hinterlassen
hat, entzündet endlos sich Gewalt. Getilgt soll werden, was bloß
vegetieren will. In den chaotisch-regelhaften Fluchtreaktionen der
niederen Tiere, in den Figuren des Gewimmels, in den konvulsivischen
Gesten von Gemarterten stellt sich dar, was am armen Leben trotz allem
sich nicht ganz beherrschen läßt: der mimetische Impuls. Im Todeskampf
der Kreatur, am äußersten Gegenpol der Freiheit, scheint die Freiheit
unwiderstehlich als die durchkreuzte Bestimmung der Materie durch.
Dagegen richtet sich die Idiosynkrasie, die der Antisemitismus als
Motiv vorgibt.
Die seelische Energie, die der politische Antisemitismus einspannt, ist
solche rationalisierte Idiosynkrasie. Alle die Vorwände, in denen
Führer und Gefolgschaft sich verstehen, taugen dazu, daß man ohne
offenkundige Verletzung des Realitätsprinzips, gleichsam in Ehren, der
mimetischen Verlockung nachgeben kann. Sie können den Juden nicht
leiden und imitieren ihn immerzu. Kein Antisemit, dem es nicht im Blute
läge, nachzuahmen, was ihm Jude heißt. Das sind immer selbst mimetische
Chiffren: die argumentierende Handbewegung, der singende Tonfall, wie
er unabhängig vom Urteilssinn ein bewegtes Bild von Sache und Gefühl
malt, die Nase, das physiognomische principium individuationis, ein
Schriftzeichen gleichsam, das dem Einzelnen den besonderen Charakter
ins Gesicht schreibt. In den vieldeutigen Neigungen der Riechlust lebt
die alte Sehnsucht nach dem Unteren fort, nach der unmittelbaren
Vereinigung mit umgebender Natur, mit Erde und Schlamm. Von allen
Sinnen zeugt der Akt des Reichens, das angezogen wird, ohne zu
vergegenständlichen, am sinnlichsten von dem Drang, ans andere sich zu
verlieren und gleich zu werden. Darum ist Geruch, als Wahrnehmung wie
als Wahrgenommenes - beide werden eins im Vollzug - mehr Ausdruck als
andere Sinne. Im Sehen bleibt man, wer man ist, im Riechen geht man
auf. So gilt der Zivilisation Geruch als Schmach, als Zeichen niederer
sozialer Schichten, minderer Rassen und unedler Tiere. Dem
Zivilisierten ist Hingabe an solche Lust nur gestattet, wenn das Verbot
durch Rationalisierung im Dienst wirklich oder scheinbar praktischer
Zwecke suspendiert wird. Man darf dem verpönten Trieb frönen, wenn
außer Zweifel steht, daß es seiner Ausrottung gilt. Das ist die
Erscheinung des Spaßes oder des Ulks. Er ist die elende Parodie der
Erfüllung. Als verachtete, sich selbst verachtende, wird die mimetische
Funktion hämisch genossen. Wer Gerüche wittert, um sie zu tilgen,
"schlechte" Gerüche, darf das Schnuppern nach Herzenslust nachahmen,
das am Geruch seine unrationalisierte Freude hat. Indem der
Zivilisierte die versagte Regung durch seine unbedingte Identifikation
mit der versagenden Instanz desinfiziert, wird sie durchgelassen. Wenn
sie die Schwelle passiert, stellt Lachen sich ein. Das ist das Schema
der antisemitischen Reaktionsweise. Um den Augenblick der autoritären
Freigabe des Verbotenen zu zelebrieren, versammeln sich die
Antisemiten, er allein macht sie zum Kollektiv, er konstituiert die
Gemeinschaft der Artgenossen. Ihr Getöse ist das organisierte
Gelächter. Je grauenvoller Anklagen und Drohungen, je größer die Wut,
um so zwingender zugleich der Hohn. Wut, Hohn und vergiftete Nachahmung
sind eigentlich dasselbe. Der Sinn des faschistischen Formelwesens, der
ritualen Disziplin, der Uniformen und der gesamten vorgeblich
irrationalen Apparatur ist es, mimetisches Verhalten zu ermöglichen.
Die ausgeklügelten Symbole, die jeder konterrevolutionären Bewegung
eigen sind, die Totenköpfe und Vermummungen, der barbarische
Trommelschlag, das monotone Wiederholen von Worten und Gesten sind
ebensoviel organisierte Nachahmung magischer Praktiken, die Mimesis der
Mimesis. Der Führer mit dem Schmierengesicht und dem Charisma der
andrehbaren Hysterie führt den Reigen. Seine Vorstellung leistet
stellvertretend und im Bilde, was allen anderen in der Realität
vermehrt ist. Hitler kann gestikulieren wie ein Clown, Mussolini
falsche Töne wagen wie ein Provinztenor, Goebbels geläufig reden wie
der jüdische Agent, den er zu ermorden empfiehlt, Coughlin Liebe
predigen wie nur der Heilend, dessen Kreuzigung er darstellt, auf daß
stets wieder Blut vergossen werde. Der Faschismus ist totalitär auch
darin, daß er die Rebellion der unterdrückten Natur gegen die
Herrschaft unmittelbar der Herrschaft nutzbar zu machen strebt.
Dieser Mechanismus bedarf der Juden. Ihre künstlich gesteigerte
Sichtbarkeit wirkt auf den legitimen Sohn der gentilen Zivilisation
gleichsam als magnetisches Feld. Indem der Verwurzelte an seiner
Differenz vom Juden die Gleichheit, das Menschliche, gewahrt, wird in
ihm das Gefühl des Gegensatzes, der Fremdheit, induziert. So werden die
tabuierten, der Arbeit in ihrer herrschenden Ordnung zuwiderlaufenden
Regungen in konformierende Idiosynkrasien umgesetzt. Die ökonomische
Position der Juden, der letzten betrogenen Betrüger der
liberalistischen Ideologie, bietet dagegen keinen zuverlässigen Schutz.
Da sie zur Erzeugung jener seelischen Induktionsströme so geeignet
sind, werden sie zu solchen Funktionen willenlos bereitgestellt. Sie
teilen das Schicksal der rebellierenden Natur, für die sie der
Faschismus einsetzt: sie werden blind und scharfsichtig gebraucht. Es
verschlägt wenig, ob die Juden als Individuen wirklich noch jene
mimetischen Züge tragen, die böse Ansteckung bewirken, oder ob sie
jeweils unterschoben werden. Haben die ökonomischen Machthaber ihre
Angst vor der Heranziehung faschistischer Sachwalter erst einmal
überwunden, so stellt sich den Juden gegenüber die Harmonie der
Volksgemeinschaft automatisch her. Sie werden von der Herrschaft
preisgegeben, wenn diese kraft ihrer fortschreitenden Entfremdung von
Natur in bloße Natur zurückschlägt. Den Juden insgesamt wird der
Vorwurf der verbotenen Magie, des blutigen Rituals gemacht. Verkleidet
als Anklage erst feiert das unterschwellige Gelüste der Einheimischen,
zur mimetischen Opferpraxis zurückzukehren, in deren eigenem Bewußtsein
fröhliche Urständ. Ist alles Grauen der zivilisatorisch erledigten
Vorzeit durch Projektion auf die Juden als rationales Interesse
rehabilitiert, so gibt es kein Halten mehr. Es kann real vollstreckt
werden, und die Vollstreckung des Bösen übertrifft noch den bösen
Inhalt der Projektion. Die völkischen Phantasien jüdischer Verbrechen,
der Kindermorde und sadistischen Exzesse, der Volksvergiftung und
internationalen Verschwörung definieren genau den antisemitischen
Wunschtraum und bleiben hinter seiner Verwirklichung zurück. Ist es
einmal so weit, dann erscheint das bloße Wort Jude als die blutige
Grimasse, deren Abbild die Hakenkreuzfahne - Totenschädel und
gerädertes Kreuz in einem - entrollt; daß einer Jude heißt, wirkt als
die Aufforderung, ihn zuzurichten, bis er dem Bilde gleicht.
Zivilisation ist der Sieg der Gesellschaft über Natur, der alles in
bloße Natur verwandelt.
Die Juden selber haben daran durch die Jahrtausende teilgehabt, mit
Aufklärung nicht weniger als mit Zynismus. Das älteste überlebende
Patriarchat, die Inkarnation des Monotheismus, haben sie die Tabus in
zivilisatorische Maximen verwandelt, da die anderen noch bei der Magie
hielten. Den Juden schien gelungen, worum das Christentum vergebens
sich mühte: die Entmächtigung der Magie vermöge ihrer eigenen Kraft,
die als Gottesdienst sich wider sich selber kehrt. Sie haben die
Angleichung an Natur nicht sowohl ausgerottet als sie aufgehoben in den
reinen Pflichten des Rituals. Damit haben sie ihr das versöhnende
Gedächtnis bewahrt, ohne durchs Symbol in Mythologie zurückzufallen. So
gelten sie der fortgeschrittenen Zivilisation für zurückgeblieben und
allzu weit voran, für ähnlich und unähnlich, für gescheit und dumm. Sie
werden dessen schuldig gesprochen, was sie, als die ersten Bürger,
zuerst in sich gebrochen haben: der Verführbarkeit durchs Untere, des
Dranges zu Tier und Erde, des Bilderdienstes. Weil sie den Begriff des
Koscheren erfunden haben, werden sie als Schweine verfolgt. Die
Antisemiten machen sich zu Vollstreckern des alten Testaments: sie
sorgen dafür, daß die Juden, da sie vom Baum der Erkenntnis gegessen
http://www.antisemitismus.net/theorie/adorno-5.htm)
--
Mein Führer, I can walk!
<Loading Image...>
<http://www.gonemovies.com/WWW/Drama/Drama/StrangeloveMeinFuhrer.mp3>
Lorbas
2008-11-07 17:25:57 UTC
Permalink
Post by Peter Walther
Elemente des Antisemitismus - Grenzen der Aufklärung
Von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno
aus: Dialektik der Aufklärung - Philosophische Fragmente. Elektronische
Quelle: http://www.nadir.org
"Ich kann dich ja nicht leiden - Vergiß das nicht so leicht" sagt
Siegfried
zu Mime, der um seine Liebe wirbt. Die alte Antwort aller Antisemiten
ist die Berufung auf Idiosynkrasie. Davon, ob der Inhalt der
Idiosynkrasie zum Begriff erhoben, das Sinnlose seiner selbst innewird,
hängt die Emanzipation der Gesellschaft vom Antisemitismus ab.
Idiosynkrasie aber heftet sich an Besonderes. Als natürlich gilt das
Allgemeine, das, was sich in die Zweckzusammenhänge der Gesellschaft
einfügt. Natur aber, die sich nicht durch die Kanäle der begrifflichen
Ordnung zum Zweckvollen geläutert hat, der schrille Laut des Griffels
auf Schiefer, der durch und durch geht, der haut goût, der an Dreck und
Verwesung gemahnt, der Schweiß, der auf der Stirn des Beflissenen
sichtbar wird; was immer nicht ganz mitgekommen ist oder die Verbote
verletzt, in denen der Fortschritt der Jahrhunderte sich sedimentiert,
wirkt penetrant und fordert zwangshaften Abscheu heraus.
Die Motive, auf die Idiosynkrasie anspricht, erinnern an die Herkunft.
Sie stellen Augenblicke der biologischen Urgeschichte her: Zeichen der
Gefahr, bei deren Laut das Haar sich sträubte und das Herz stillstand.
In der Idiosynkrasie entziehen sich einzelne Organe wieder der
Herrschaft des Subjekts; selbständig gehorchen sie biologisch
fundamentalen Reizen. Das Ich, das in solchen Reaktionen, wie der
Erstarrung von Haut, Muskel, Glied sich erfährt, ist ihrer doch nicht
ganz mächtig. Für Augenblicke vollziehen sie die Angleichung an die
umgebende unbewegte Natur. Indem aber das Bewegte dem Unbewegten, das
entfaltetere Leben bloßer Natur sich nähert, entfremdet es sich ihr
zugleich, denn unbewegte Natur, zu der, wie Daphne, Lebendiges in
höchster Erregung zu werden trachtet, ist einzig der äußerlichsten, der
räumlichen Beziehung fähig. Der Raum ist die absolute Entfremdung. Wo
Menschliches werden will wie Natur, verhärtet es sich zugleich gegen
sie. Schutz als Schrecken ist eine Form der Mimikry. Jene
Erstarrungsreaktionen am Menschen sind archaische Schemata der
Selbsterhaltung: das Leben zahlt den Zoll für seinen Fortbestand durch
Angleichung ans Tote.
Zivilisation hat anstelle der organischen Anschmiegung ans andere,
anstelle
des eigentlich mimetischen Verhaltens, zunächst in der magischen Phase,
die organisierte Handhabung der Mimesis und schließlich, in der
historischen, die rationale Praxis, die Arbeit, gesetzt. Unbeherrschte
Mimesis wird verfemt. Der Engel mit dem feurigen Schwert, der die
Menschen aus dem Paradies auf die Bahn des technischen Fortschritts
trieb, ist selbst das Sinnbild solchen Fortschritts. Die Strenge, mit
welcher im Laufe der Jahrtausende die Herrschenden ihrem eigenen
Nachwuchs wie den beherrschten Massen den Rückfall in mimetische
Daseinsweisen abschnitten, angefangen vom religiösen Bildverbot über
die Pädagogik, die den Kindern abgewöhnt, kindisch zu sein, ist die
Bedingung der Zivilisation. Gesellschaftliche und individuelle
Erziehung bestärkt die Menschen in der objektivierenden Verhaltensweise
von Arbeitenden und bewahrt sie davor, sich wieder aufgehen zu lassen
im Auf und Nieder der umgebenden Natur. Alles Abgelenktwerden, ja, alle
Hingabe hat einen Zug von Mimikry. In der Verhärtung dagegen ist das
Ich geschmiedet worden. Durch seine Konstitution vollzieht sich der
Übergang von reflektorischer Mimesis zu beherrschter Reflexion.
Anstelle der leiblichen Angleichung an Natur tritt die "Rekognition im
Begriff" die Befassung des Verschiedenen unter Gleiches. Die
Konstellation aber, unter der Gleichheit sich herstellt, die
unmittelbare der Mimesis wie die vermittelte der Synthesis, die
Angleichung ans Ding im blinden Vollzug des Lebens wie die Vergleichung
des Verdinglichten in der wissenschaftlichen Begriffsbildung, bleibt
die des Schreckens. Die Gesellschaft setzt die drohende Natur fort als
den dauernden, organisierten Zwang, der, in den Individuen als
konsequente Selbsterhaltung sich reproduzierend, auf die Natur
zurückschlägt als gesellschaftliche Herrschaft über die Natur.
Wissenschaft ist Wiederholung, verfeinert zu beobachteter
Regelmäßigkeit, aufbewahrt in Stereotypen. Die mathematische Formel ist
bewußt gehandhabte Regression, wie schon der Zauber-Ritus war; sie ist
die sublimierteste Betätigung von Mimikry. Technik vollzieht die
Anpassung ans Tote im Dienste der Selbsterhaltung nicht mehr wie Magie
durch körperliche Nachahmung der äußeren Natur, sondern durch
Automatisierung der geistigen Prozesse, durch ihre Umwandlung in blinde
Abläufe. Mit ihrem Triumph werden die menschlichen Äußerungen sowohl
beherrschbar als zwangsmäßig. Von der Angleichung an die Natur bleibt
allein die Verhärtung gegen diese übrig. Die Schutz- und Schreckfarbe
heute ist die blinde Naturbeherrschung, die mit der weitblickenden
Zweckhaftigkeit identisch ist.
In der bürgerlichen Produktionsweise wird das untilgbar mimetische Erbe
aller Praxis dem Vergessen überantwortet. Das erbarmungslose Verbot des
Rückfalls wird selber zum bloßen Verhängnis, die Versagung ist so total
geworden, daß sie nicht mehr zum bewußten Vollzug gelangt. Die von
Zivilisation Geblendeten erfahren ihre eigenen tabuierten mimetischen
Züge erst an manchen Gesten und Verhaltensweisen, die ihnen bei anderen
begegnen, und als isolierte Reste, als beschämende Rudimente in der
rationalisierten Umwelt auffallen. Was als Fremdes abstößt, ist nur
allzu vertraut. Es ist die ansteckende Gestik der von Zivilisation
unterdrückten Unmittelbarkeit: Berühren, Anschmiegen, Beschwichtigen,
Zureden. Anstößig heute ist das Unzeitgemäße jener Regungen. Sie
scheinen die längst verdinglichten menschlichen Beziehungen wieder in
persönliche Machtverhältnisse zurückzuübersetzen, indem sie den Käufer
durch Schmeicheln, den Schuldner durch Drohen, den Gläubiger durch
Flehen zu erweichen suchen. Peinlich wirkt schließlich jede Regung
überhaupt, Aufregung ist minder. Aller nicht-manipulierte Ausdruck
erscheint als die Grimasse, die der manipulierte - im Kino, bei der
Lynchjustiz, in der Führer-Rede - immer war. Die undisziplinierte Mimik
aber ist das Brandzeichen der alten Herrschaft, in die lebende Substanz
der Beherrschten eingeprägt und kraft eines unbewußten
Nachahmungsprozesses durch jede frühe Kindheit hindurch auf
Generationen vererbt, vom Trödeljuden auf den Bankier. Solche Mimik
fordert die Wut heraus, weil sie angesichts der neuen
Produktionsverhältnisse die alte Angst zur Schau trägt, die man, um in
ihnen zu überleben, selbst vergessen mußte. Auf das zwangshafte Moment,
auf die Wut des Quälers und des Gequälten, die ungeschieden in der
Grimasse wieder erscheinen, spricht die eigene Wut im Zivilisierten an.
Dem ohnmächtigen Schein antwortet die tödliche Wirklichkeit, dem Spiel
der Ernst.
Gespielt wirkt die Grimasse, weil sie, anstatt ernsthaft Arbeit zu tun,
lieber die Unlust darstellt. Sie scheint sich dem Ernst des Daseins zu
entziehen, indem sie ihn fessellos eingesteht: so ist sie unecht. Aber
Ausdruck ist der schmerzliche Widerhall einer Übermacht, Gewalt, ehe
laut wird in der Klage. Er ist stets übertrieben, wie aufrichtig er
auch sei, denn, wie in jedem Werk der Kunst, scheint in jedem Klagelaut
die ganze Welt zu liegen. Angemessen ist nur die Leistung. Sie und
nicht Mimesis vermag dem Leiden Abbruch zu tun. Aber ihre Konsequenz
ist das unbewegte und ungerührte Antlitz, schließlich am Ende des
Zeitalters das Babygesicht der Männer der Praxis, der Politiker,
Pfaffen, Generaldirektoren und Racketeers. Die heulende Stimme
faschistischer Hetzredner und Lagervögte zeigt die Kehrseite desselben
gesellschaftlichen Sachverhalts. Das Geheul ist so kalt wie das
Geschäft. Sie enteignen noch den Klagelaut der Natur und machen ihn zum
Element ihrer Technik. Ihr Gebrüll ist fürs Pogrom, was die
Lärmvorrichtung für die deutsche Fliegerbombe ist: der
Schreckensschrei, der Schrecken bringt, wird angedreht. Vom Wehlaut des
Opfers, der zuerst Gewalt beim Namen rief, ja, vom bloßen Wort, das die
Opfer meint: Franzose, Neger, Jude, lassen sie sich absichtlich in die
Verzweiflung von Verfolgten versetzen, die zuschlagen müssen. Sie sind
das falsche Konterfei der schreckhaften Mimesis. Sie reproduzieren die
Unersättlichkeit der Macht in sich, vor der sie sich fürchten. Alles
soll gebraucht werden, alles soll ihnen gehören. Die bloße Existenz des
anderen ist das Ärgernis. Jeder andere "macht sich breit" und muß in
seine Schranken verwiesen werden, die des schrankenlosen Graues. Was
Unterschlupf sucht, soll ihn nicht finden; denen, die ausdrücken,
wonach alle süchtig sind, den Frieden, die Heimat, die Freiheit: den
Nomaden und Gauklern hat man seit je das Heimatrecht vermehrt. Was
einer fürchtet, wird ihm angetan. Selbst die letzte Ruhe soll keine
sein. Die Verwüstung der Friedhöfe ist keine Ausschreitung des
Antisemitismus, sie ist er selbst. Die Vertriebenen erwecken zwangshaft
die Lust zu vertreiben. Am Zeichen, das Gewalt an ihnen hinterlassen
hat, entzündet endlos sich Gewalt. Getilgt soll werden, was bloß
vegetieren will. In den chaotisch-regelhaften Fluchtreaktionen der
niederen Tiere, in den Figuren des Gewimmels, in den konvulsivischen
Gesten von Gemarterten stellt sich dar, was am armen Leben trotz allem
sich nicht ganz beherrschen läßt: der mimetische Impuls. Im Todeskampf
der Kreatur, am äußersten Gegenpol der Freiheit, scheint die Freiheit
unwiderstehlich als die durchkreuzte Bestimmung der Materie durch.
Dagegen richtet sich die Idiosynkrasie, die der Antisemitismus als
Motiv vorgibt.
Die seelische Energie, die der politische Antisemitismus einspannt, ist
solche rationalisierte Idiosynkrasie. Alle die Vorwände, in denen
Führer und Gefolgschaft sich verstehen, taugen dazu, daß man ohne
offenkundige Verletzung des Realitätsprinzips, gleichsam in Ehren, der
mimetischen Verlockung nachgeben kann. Sie können den Juden nicht
leiden und imitieren ihn immerzu. Kein Antisemit, dem es nicht im Blute
läge, nachzuahmen, was ihm Jude heißt. Das sind immer selbst mimetische
Chiffren: die argumentierende Handbewegung, der singende Tonfall, wie
er unabhängig vom Urteilssinn ein bewegtes Bild von Sache und Gefühl
malt, die Nase, das physiognomische principium individuationis, ein
Schriftzeichen gleichsam, das dem Einzelnen den besonderen Charakter
ins Gesicht schreibt. In den vieldeutigen Neigungen der Riechlust lebt
die alte Sehnsucht nach dem Unteren fort, nach der unmittelbaren
Vereinigung mit umgebender Natur, mit Erde und Schlamm. Von allen
Sinnen zeugt der Akt des Reichens, das angezogen wird, ohne zu
vergegenständlichen, am sinnlichsten von dem Drang, ans andere sich zu
verlieren und gleich zu werden. Darum ist Geruch, als Wahrnehmung wie
als Wahrgenommenes - beide werden eins im Vollzug - mehr Ausdruck als
andere Sinne. Im Sehen bleibt man, wer man ist, im Riechen geht man
auf. So gilt der Zivilisation Geruch als Schmach, als Zeichen niederer
sozialer Schichten, minderer Rassen und unedler Tiere. Dem
Zivilisierten ist Hingabe an solche Lust nur gestattet, wenn das Verbot
durch Rationalisierung im Dienst wirklich oder scheinbar praktischer
Zwecke suspendiert wird. Man darf dem verpönten Trieb frönen, wenn
außer Zweifel steht, daß es seiner Ausrottung gilt. Das ist die
Erscheinung des Spaßes oder des Ulks. Er ist die elende Parodie der
Erfüllung. Als verachtete, sich selbst verachtende, wird die mimetische
Funktion hämisch genossen. Wer Gerüche wittert, um sie zu tilgen,
"schlechte" Gerüche, darf das Schnuppern nach Herzenslust nachahmen,
das am Geruch seine unrationalisierte Freude hat. Indem der
Zivilisierte die versagte Regung durch seine unbedingte Identifikation
mit der versagenden Instanz desinfiziert, wird sie durchgelassen. Wenn
sie die Schwelle passiert, stellt Lachen sich ein. Das ist das Schema
der antisemitischen Reaktionsweise. Um den Augenblick der autoritären
Freigabe des Verbotenen zu zelebrieren, versammeln sich die
Antisemiten, er allein macht sie zum Kollektiv, er konstituiert die
Gemeinschaft der Artgenossen. Ihr Getöse ist das organisierte
Gelächter. Je grauenvoller Anklagen und Drohungen, je größer die Wut,
um so zwingender zugleich der Hohn. Wut, Hohn und vergiftete Nachahmung
sind eigentlich dasselbe. Der Sinn des faschistischen Formelwesens, der
ritualen Disziplin, der Uniformen und der gesamten vorgeblich
irrationalen Apparatur ist es, mimetisches Verhalten zu ermöglichen.
Die ausgeklügelten Symbole, die jeder konterrevolutionären Bewegung
eigen sind, die Totenköpfe und Vermummungen, der barbarische
Trommelschlag, das monotone Wiederholen von Worten und Gesten sind
ebensoviel organisierte Nachahmung magischer Praktiken, die Mimesis der
Mimesis. Der Führer mit dem Schmierengesicht und dem Charisma der
andrehbaren Hysterie führt den Reigen. Seine Vorstellung leistet
stellvertretend und im Bilde, was allen anderen in der Realität
vermehrt ist. Hitler kann gestikulieren wie ein Clown, Mussolini
falsche Töne wagen wie ein Provinztenor, Goebbels geläufig reden wie
der jüdische Agent, den er zu ermorden empfiehlt, Coughlin Liebe
predigen wie nur der Heilend, dessen Kreuzigung er darstellt, auf daß
stets wieder Blut vergossen werde. Der Faschismus ist totalitär auch
darin, daß er die Rebellion der unterdrückten Natur gegen die
Herrschaft unmittelbar der Herrschaft nutzbar zu machen strebt.
Dieser Mechanismus bedarf der Juden. Ihre künstlich gesteigerte
Sichtbarkeit wirkt auf den legitimen Sohn der gentilen Zivilisation
gleichsam als magnetisches Feld. Indem der Verwurzelte an seiner
Differenz vom Juden die Gleichheit, das Menschliche, gewahrt, wird in
ihm das Gefühl des Gegensatzes, der Fremdheit, induziert. So werden die
tabuierten, der Arbeit in ihrer herrschenden Ordnung zuwiderlaufenden
Regungen in konformierende Idiosynkrasien umgesetzt. Die ökonomische
Position der Juden, der letzten betrogenen Betrüger der
liberalistischen Ideologie, bietet dagegen keinen zuverlässigen Schutz.
Da sie zur Erzeugung jener seelischen Induktionsströme so geeignet
sind, werden sie zu solchen Funktionen willenlos bereitgestellt. Sie
teilen das Schicksal der rebellierenden Natur, für die sie der
Faschismus einsetzt: sie werden blind und scharfsichtig gebraucht. Es
verschlägt wenig, ob die Juden als Individuen wirklich noch jene
mimetischen Züge tragen, die böse Ansteckung bewirken, oder ob sie
jeweils unterschoben werden. Haben die ökonomischen Machthaber ihre
Angst vor der Heranziehung faschistischer Sachwalter erst einmal
überwunden, so stellt sich den Juden gegenüber die Harmonie der
Volksgemeinschaft automatisch her. Sie werden von der Herrschaft
preisgegeben, wenn diese kraft ihrer fortschreitenden Entfremdung von
Natur in bloße Natur zurückschlägt. Den Juden insgesamt wird der
Vorwurf der verbotenen Magie, des blutigen Rituals gemacht. Verkleidet
als Anklage erst feiert das unterschwellige Gelüste der Einheimischen,
zur mimetischen Opferpraxis zurückzukehren, in deren eigenem Bewußtsein
fröhliche Urständ. Ist alles Grauen der zivilisatorisch erledigten
Vorzeit durch Projektion auf die Juden als rationales Interesse
rehabilitiert, so gibt es kein Halten mehr. Es kann real vollstreckt
werden, und die Vollstreckung des Bösen übertrifft noch den bösen
Inhalt der Projektion. Die völkischen Phantasien jüdischer Verbrechen,
der Kindermorde und sadistischen Exzesse, der Volksvergiftung und
internationalen Verschwörung definieren genau den antisemitischen
Wunschtraum und bleiben hinter seiner Verwirklichung zurück. Ist es
einmal so weit, dann erscheint das bloße Wort Jude als die blutige
Grimasse, deren Abbild die Hakenkreuzfahne - Totenschädel und
gerädertes Kreuz in einem - entrollt; daß einer Jude heißt, wirkt als
die Aufforderung, ihn zuzurichten, bis er dem Bilde gleicht.
Zivilisation ist der Sieg der Gesellschaft über Natur, der alles in
bloße Natur verwandelt.
Die Juden selber haben daran durch die Jahrtausende teilgehabt, mit
Aufklärung nicht weniger als mit Zynismus. Das älteste überlebende
Patriarchat, die Inkarnation des Monotheismus, haben sie die Tabus in
zivilisatorische Maximen verwandelt, da die anderen noch bei der Magie
hielten. Den Juden schien gelungen, worum das Christentum vergebens
sich mühte: die Entmächtigung der Magie vermöge ihrer eigenen Kraft,
die als Gottesdienst sich wider sich selber kehrt. Sie haben die
Angleichung an Natur nicht sowohl ausgerottet als sie aufgehoben in den
reinen Pflichten des Rituals. Damit haben sie ihr das versöhnende
Gedächtnis bewahrt, ohne durchs Symbol in Mythologie zurückzufallen. So
gelten sie der fortgeschrittenen Zivilisation für zurückgeblieben und
allzu weit voran, für ähnlich und unähnlich, für gescheit und dumm. Sie
werden dessen schuldig gesprochen, was sie, als die ersten Bürger,
zuerst in sich gebrochen haben: der Verführbarkeit durchs Untere, des
Dranges zu Tier und Erde, des Bilderdienstes. Weil sie den Begriff des
Koscheren erfunden haben, werden sie als Schweine verfolgt. Die
Antisemiten machen sich zu Vollstreckern des alten Testaments: sie
sorgen dafür, daß die Juden, da sie vom Baum der Erkenntnis gegessen
http://www.antisemitismus.net/theorie/adorno-5.htm)
--
Mein Führer, I can walk!
<https://www.refrat.de/sowi2/images/16_strangelove.jpg>
<http://www.gonemovies.com/WWW/Drama/Drama/StrangeloveMeinFuhrer.mp3>
do it
Peter Walther
2008-11-07 17:31:35 UTC
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Post by Peter Walther
Elemente des Antisemitismus - Grenzen der Aufklärung
Von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno
aus: Dialektik der Aufklärung - Philosophische Fragmente.
Elektronische Quelle: http://www.nadir.org
"Ich kann dich ja nicht leiden - Vergiß das nicht so leicht" sagt
Siegfried
zu Mime, der um seine Liebe wirbt. Die alte Antwort aller Antisemiten
ist die Berufung auf Idiosynkrasie. Davon, ob der Inhalt der
Idiosynkrasie zum Begriff erhoben, das Sinnlose seiner selbst
innewird, hängt die Emanzipation der Gesellschaft vom Antisemitismus
ab. Idiosynkrasie aber heftet sich an Besonderes. Als natürlich gilt
das Allgemeine, das, was sich in die Zweckzusammenhänge der
Gesellschaft einfügt. Natur aber, die sich nicht durch die Kanäle der
begrifflichen Ordnung zum Zweckvollen geläutert hat, der schrille
Laut des Griffels auf Schiefer, der durch und durch geht, der haut
goût, der an Dreck und Verwesung gemahnt, der Schweiß, der auf der
Stirn des Beflissenen sichtbar wird; was immer nicht ganz mitgekommen
ist oder die Verbote verletzt, in denen der Fortschritt der
Jahrhunderte sich sedimentiert, wirkt penetrant und fordert
zwangshaften Abscheu heraus.
Die Motive, auf die Idiosynkrasie anspricht, erinnern an die
Zeichen der Gefahr, bei deren Laut das Haar sich sträubte und das
Herz stillstand. In der Idiosynkrasie entziehen sich einzelne Organe
wieder der Herrschaft des Subjekts; selbständig gehorchen sie
biologisch fundamentalen Reizen. Das Ich, das in solchen Reaktionen,
wie der Erstarrung von Haut, Muskel, Glied sich erfährt, ist ihrer
doch nicht ganz mächtig. Für Augenblicke vollziehen sie die
Angleichung an die umgebende unbewegte Natur. Indem aber das Bewegte
dem Unbewegten, das entfaltetere Leben bloßer Natur sich nähert,
entfremdet es sich ihr zugleich, denn unbewegte Natur, zu der, wie
Daphne, Lebendiges in höchster Erregung zu werden trachtet, ist
einzig der äußerlichsten, der räumlichen Beziehung fähig. Der Raum
ist die absolute Entfremdung. Wo Menschliches werden will wie Natur,
verhärtet es sich zugleich gegen sie. Schutz als Schrecken ist eine
Form der Mimikry. Jene Erstarrungsreaktionen am Menschen sind
archaische Schemata der Selbsterhaltung: das Leben zahlt den Zoll für
seinen Fortbestand durch Angleichung ans Tote.
Zivilisation hat anstelle der organischen Anschmiegung ans andere,
anstelle
des eigentlich mimetischen Verhaltens, zunächst in der magischen
Phase, die organisierte Handhabung der Mimesis und schließlich, in
der historischen, die rationale Praxis, die Arbeit, gesetzt.
Unbeherrschte Mimesis wird verfemt. Der Engel mit dem feurigen
Schwert, der die Menschen aus dem Paradies auf die Bahn des
technischen Fortschritts trieb, ist selbst das Sinnbild solchen
Fortschritts. Die Strenge, mit welcher im Laufe der Jahrtausende die
Herrschenden ihrem eigenen Nachwuchs wie den beherrschten Massen den
Rückfall in mimetische Daseinsweisen abschnitten, angefangen vom
religiösen Bildverbot über die Pädagogik, die den Kindern abgewöhnt,
kindisch zu sein, ist die Bedingung der Zivilisation.
Gesellschaftliche und individuelle Erziehung bestärkt die Menschen in
der objektivierenden Verhaltensweise von Arbeitenden und bewahrt sie
davor, sich wieder aufgehen zu lassen im Auf und Nieder der
umgebenden Natur. Alles Abgelenktwerden, ja, alle Hingabe hat einen
Zug von Mimikry. In der Verhärtung dagegen ist das Ich geschmiedet
worden. Durch seine Konstitution vollzieht sich der Übergang von
reflektorischer Mimesis zu beherrschter Reflexion. Anstelle der
leiblichen Angleichung an Natur tritt die "Rekognition im Begriff"
die Befassung des Verschiedenen unter Gleiches. Die Konstellation
aber, unter der Gleichheit sich herstellt, die unmittelbare der
Mimesis wie die vermittelte der Synthesis, die Angleichung ans Ding
im blinden Vollzug des Lebens wie die Vergleichung des Verdinglichten
in der wissenschaftlichen Begriffsbildung, bleibt die des Schreckens.
Die Gesellschaft setzt die drohende Natur fort als den dauernden,
organisierten Zwang, der, in den Individuen als konsequente
Selbsterhaltung sich reproduzierend, auf die Natur zurückschlägt als
gesellschaftliche Herrschaft über die Natur. Wissenschaft ist
Wiederholung, verfeinert zu beobachteter Regelmäßigkeit, aufbewahrt
in Stereotypen. Die mathematische Formel ist bewußt gehandhabte
Regression, wie schon der Zauber-Ritus war; sie ist die
sublimierteste Betätigung von Mimikry. Technik vollzieht die
Anpassung ans Tote im Dienste der Selbsterhaltung nicht mehr wie
Magie durch körperliche Nachahmung der äußeren Natur, sondern durch
Automatisierung der geistigen Prozesse, durch ihre Umwandlung in
blinde Abläufe. Mit ihrem Triumph werden die menschlichen Äußerungen
sowohl beherrschbar als zwangsmäßig. Von der Angleichung an die Natur
bleibt allein die Verhärtung gegen diese übrig. Die Schutz- und
Schreckfarbe heute ist die blinde Naturbeherrschung, die mit der
weitblickenden Zweckhaftigkeit identisch ist.
In der bürgerlichen Produktionsweise wird das untilgbar mimetische
Erbe aller Praxis dem Vergessen überantwortet. Das erbarmungslose
Verbot des Rückfalls wird selber zum bloßen Verhängnis, die Versagung
ist so total geworden, daß sie nicht mehr zum bewußten Vollzug
gelangt. Die von Zivilisation Geblendeten erfahren ihre eigenen
tabuierten mimetischen Züge erst an manchen Gesten und
Verhaltensweisen, die ihnen bei anderen begegnen, und als isolierte
Reste, als beschämende Rudimente in der rationalisierten Umwelt
auffallen. Was als Fremdes abstößt, ist nur allzu vertraut. Es ist
die ansteckende Gestik der von Zivilisation unterdrückten
Unmittelbarkeit: Berühren, Anschmiegen, Beschwichtigen, Zureden.
Anstößig heute ist das Unzeitgemäße jener Regungen. Sie scheinen die
längst verdinglichten menschlichen Beziehungen wieder in persönliche
Machtverhältnisse zurückzuübersetzen, indem sie den Käufer durch
Schmeicheln, den Schuldner durch Drohen, den Gläubiger durch Flehen
zu erweichen suchen. Peinlich wirkt schließlich jede Regung
überhaupt, Aufregung ist minder. Aller nicht-manipulierte Ausdruck
erscheint als die Grimasse, die der manipulierte - im Kino, bei der
Lynchjustiz, in der Führer-Rede - immer war. Die undisziplinierte
Mimik aber ist das Brandzeichen der alten Herrschaft, in die lebende
Substanz der Beherrschten eingeprägt und kraft eines unbewußten
Nachahmungsprozesses durch jede frühe Kindheit hindurch auf
Generationen vererbt, vom Trödeljuden auf den Bankier. Solche Mimik
fordert die Wut heraus, weil sie angesichts der neuen
Produktionsverhältnisse die alte Angst zur Schau trägt, die man, um
in ihnen zu überleben, selbst vergessen mußte. Auf das zwangshafte
Moment, auf die Wut des Quälers und des Gequälten, die ungeschieden
in der Grimasse wieder erscheinen, spricht die eigene Wut im
Zivilisierten an. Dem ohnmächtigen Schein antwortet die tödliche
Wirklichkeit, dem Spiel der Ernst.
Gespielt wirkt die Grimasse, weil sie, anstatt ernsthaft Arbeit zu
tun, lieber die Unlust darstellt. Sie scheint sich dem Ernst des
Daseins zu entziehen, indem sie ihn fessellos eingesteht: so ist sie
unecht. Aber Ausdruck ist der schmerzliche Widerhall einer Übermacht,
Gewalt, ehe laut wird in der Klage. Er ist stets übertrieben, wie
aufrichtig er auch sei, denn, wie in jedem Werk der Kunst, scheint in
jedem Klagelaut die ganze Welt zu liegen. Angemessen ist nur die
Leistung. Sie und nicht Mimesis vermag dem Leiden Abbruch zu tun.
Aber ihre Konsequenz ist das unbewegte und ungerührte Antlitz,
schließlich am Ende des Zeitalters das Babygesicht der Männer der
Praxis, der Politiker, Pfaffen, Generaldirektoren und Racketeers. Die
heulende Stimme faschistischer Hetzredner und Lagervögte zeigt die
Kehrseite desselben gesellschaftlichen Sachverhalts. Das Geheul ist
so kalt wie das Geschäft. Sie enteignen noch den Klagelaut der Natur
und machen ihn zum Element ihrer Technik. Ihr Gebrüll ist fürs
der Schreckensschrei, der Schrecken bringt, wird angedreht. Vom
Wehlaut des Opfers, der zuerst Gewalt beim Namen rief, ja, vom bloßen
Wort, das die Opfer meint: Franzose, Neger, Jude, lassen sie sich
absichtlich in die Verzweiflung von Verfolgten versetzen, die
zuschlagen müssen. Sie sind das falsche Konterfei der schreckhaften
Mimesis. Sie reproduzieren die Unersättlichkeit der Macht in sich,
vor der sie sich fürchten. Alles soll gebraucht werden, alles soll
ihnen gehören. Die bloße Existenz des anderen ist das Ärgernis. Jeder
andere "macht sich breit" und muß in seine Schranken verwiesen
werden, die des schrankenlosen Graues. Was Unterschlupf sucht, soll
ihn nicht finden; denen, die ausdrücken, wonach alle süchtig sind,
den Frieden, die Heimat, die Freiheit: den Nomaden und Gauklern hat
man seit je das Heimatrecht vermehrt. Was einer fürchtet, wird ihm
angetan. Selbst die letzte Ruhe soll keine sein. Die Verwüstung der
Friedhöfe ist keine Ausschreitung des Antisemitismus, sie ist er
selbst. Die Vertriebenen erwecken zwangshaft die Lust zu vertreiben.
Am Zeichen, das Gewalt an ihnen hinterlassen hat, entzündet endlos
sich Gewalt. Getilgt soll werden, was bloß vegetieren will. In den
chaotisch-regelhaften Fluchtreaktionen der niederen Tiere, in den
Figuren des Gewimmels, in den konvulsivischen Gesten von Gemarterten
stellt sich dar, was am armen Leben trotz allem sich nicht ganz
beherrschen läßt: der mimetische Impuls. Im Todeskampf der Kreatur,
am äußersten Gegenpol der Freiheit, scheint die Freiheit
unwiderstehlich als die durchkreuzte Bestimmung der Materie durch.
Dagegen richtet sich die Idiosynkrasie, die der Antisemitismus als
Motiv vorgibt.
Die seelische Energie, die der politische Antisemitismus einspannt,
ist solche rationalisierte Idiosynkrasie. Alle die Vorwände, in denen
Führer und Gefolgschaft sich verstehen, taugen dazu, daß man ohne
offenkundige Verletzung des Realitätsprinzips, gleichsam in Ehren,
der mimetischen Verlockung nachgeben kann. Sie können den Juden nicht
leiden und imitieren ihn immerzu. Kein Antisemit, dem es nicht im
Blute läge, nachzuahmen, was ihm Jude heißt. Das sind immer selbst
mimetische Chiffren: die argumentierende Handbewegung, der singende
Tonfall, wie er unabhängig vom Urteilssinn ein bewegtes Bild von
Sache und Gefühl malt, die Nase, das physiognomische principium
individuationis, ein Schriftzeichen gleichsam, das dem Einzelnen den
besonderen Charakter ins Gesicht schreibt. In den vieldeutigen
Neigungen der Riechlust lebt die alte Sehnsucht nach dem Unteren
fort, nach der unmittelbaren Vereinigung mit umgebender Natur, mit
Erde und Schlamm. Von allen Sinnen zeugt der Akt des Reichens, das
angezogen wird, ohne zu vergegenständlichen, am sinnlichsten von dem
Drang, ans andere sich zu verlieren und gleich zu werden. Darum ist
Geruch, als Wahrnehmung wie als Wahrgenommenes - beide werden eins im
Vollzug - mehr Ausdruck als andere Sinne. Im Sehen bleibt man, wer
man ist, im Riechen geht man auf. So gilt der Zivilisation Geruch als
Schmach, als Zeichen niederer sozialer Schichten, minderer Rassen und
unedler Tiere. Dem Zivilisierten ist Hingabe an solche Lust nur
gestattet, wenn das Verbot durch Rationalisierung im Dienst wirklich
oder scheinbar praktischer Zwecke suspendiert wird. Man darf dem
verpönten Trieb frönen, wenn außer Zweifel steht, daß es seiner
Ausrottung gilt. Das ist die Erscheinung des Spaßes oder des Ulks. Er
ist die elende Parodie der Erfüllung. Als verachtete, sich selbst
verachtende, wird die mimetische Funktion hämisch genossen. Wer
Gerüche wittert, um sie zu tilgen, "schlechte" Gerüche, darf das
Schnuppern nach Herzenslust nachahmen, das am Geruch seine
unrationalisierte Freude hat. Indem der Zivilisierte die versagte
Regung durch seine unbedingte Identifikation mit der versagenden
Instanz desinfiziert, wird sie durchgelassen. Wenn sie die Schwelle
passiert, stellt Lachen sich ein. Das ist das Schema der
antisemitischen Reaktionsweise. Um den Augenblick der autoritären
Freigabe des Verbotenen zu zelebrieren, versammeln sich die
Antisemiten, er allein macht sie zum Kollektiv, er konstituiert die
Gemeinschaft der Artgenossen. Ihr Getöse ist das organisierte
Gelächter. Je grauenvoller Anklagen und Drohungen, je größer die Wut,
um so zwingender zugleich der Hohn. Wut, Hohn und vergiftete
Nachahmung sind eigentlich dasselbe. Der Sinn des faschistischen
Formelwesens, der ritualen Disziplin, der Uniformen und der gesamten
vorgeblich irrationalen Apparatur ist es, mimetisches Verhalten zu
ermöglichen. Die ausgeklügelten Symbole, die jeder
konterrevolutionären Bewegung eigen sind, die Totenköpfe und
Vermummungen, der barbarische Trommelschlag, das monotone Wiederholen
von Worten und Gesten sind ebensoviel organisierte Nachahmung
magischer Praktiken, die Mimesis der Mimesis. Der Führer mit dem
Schmierengesicht und dem Charisma der andrehbaren Hysterie führt den
Reigen. Seine Vorstellung leistet stellvertretend und im Bilde, was
allen anderen in der Realität vermehrt ist. Hitler kann gestikulieren
wie ein Clown, Mussolini falsche Töne wagen wie ein Provinztenor,
Goebbels geläufig reden wie der jüdische Agent, den er zu ermorden
empfiehlt, Coughlin Liebe predigen wie nur der Heilend, dessen
Kreuzigung er darstellt, auf daß stets wieder Blut vergossen werde.
Der Faschismus ist totalitär auch darin, daß er die Rebellion der
unterdrückten Natur gegen die Herrschaft unmittelbar der Herrschaft
nutzbar zu machen strebt.
Dieser Mechanismus bedarf der Juden. Ihre künstlich gesteigerte
Sichtbarkeit wirkt auf den legitimen Sohn der gentilen Zivilisation
gleichsam als magnetisches Feld. Indem der Verwurzelte an seiner
Differenz vom Juden die Gleichheit, das Menschliche, gewahrt, wird in
ihm das Gefühl des Gegensatzes, der Fremdheit, induziert. So werden
die tabuierten, der Arbeit in ihrer herrschenden Ordnung
zuwiderlaufenden Regungen in konformierende Idiosynkrasien umgesetzt.
Die ökonomische Position der Juden, der letzten betrogenen Betrüger
der liberalistischen Ideologie, bietet dagegen keinen zuverlässigen
Schutz. Da sie zur Erzeugung jener seelischen Induktionsströme so
geeignet sind, werden sie zu solchen Funktionen willenlos
bereitgestellt. Sie teilen das Schicksal der rebellierenden Natur,
für die sie der Faschismus einsetzt: sie werden blind und
scharfsichtig gebraucht. Es verschlägt wenig, ob die Juden als
Individuen wirklich noch jene mimetischen Züge tragen, die böse
Ansteckung bewirken, oder ob sie jeweils unterschoben werden. Haben
die ökonomischen Machthaber ihre Angst vor der Heranziehung
faschistischer Sachwalter erst einmal überwunden, so stellt sich den
Juden gegenüber die Harmonie der Volksgemeinschaft automatisch her.
Sie werden von der Herrschaft preisgegeben, wenn diese kraft ihrer
fortschreitenden Entfremdung von Natur in bloße Natur zurückschlägt.
Den Juden insgesamt wird der Vorwurf der verbotenen Magie, des
blutigen Rituals gemacht. Verkleidet als Anklage erst feiert das
unterschwellige Gelüste der Einheimischen, zur mimetischen
Opferpraxis zurückzukehren, in deren eigenem Bewußtsein fröhliche
Urständ. Ist alles Grauen der zivilisatorisch erledigten Vorzeit
durch Projektion auf die Juden als rationales Interesse
rehabilitiert, so gibt es kein Halten mehr. Es kann real vollstreckt
werden, und die Vollstreckung des Bösen übertrifft noch den bösen
Inhalt der Projektion. Die völkischen Phantasien jüdischer
Verbrechen, der Kindermorde und sadistischen Exzesse, der
Volksvergiftung und internationalen Verschwörung definieren genau den
antisemitischen Wunschtraum und bleiben hinter seiner Verwirklichung
zurück. Ist es einmal so weit, dann erscheint das bloße Wort Jude als
die blutige Grimasse, deren Abbild die Hakenkreuzfahne - Totenschädel
und gerädertes Kreuz in einem - entrollt; daß einer Jude heißt, wirkt
als die Aufforderung, ihn zuzurichten, bis er dem Bilde gleicht.
Zivilisation ist der Sieg der Gesellschaft über Natur, der alles in
bloße Natur verwandelt.
Die Juden selber haben daran durch die Jahrtausende teilgehabt, mit
Aufklärung nicht weniger als mit Zynismus. Das älteste überlebende
Patriarchat, die Inkarnation des Monotheismus, haben sie die Tabus in
zivilisatorische Maximen verwandelt, da die anderen noch bei der
Magie hielten. Den Juden schien gelungen, worum das Christentum
vergebens sich mühte: die Entmächtigung der Magie vermöge ihrer
eigenen Kraft, die als Gottesdienst sich wider sich selber kehrt. Sie
haben die Angleichung an Natur nicht sowohl ausgerottet als sie
aufgehoben in den reinen Pflichten des Rituals. Damit haben sie ihr
das versöhnende Gedächtnis bewahrt, ohne durchs Symbol in Mythologie
zurückzufallen. So gelten sie der fortgeschrittenen Zivilisation für
zurückgeblieben und allzu weit voran, für ähnlich und unähnlich, für
gescheit und dumm. Sie werden dessen schuldig gesprochen, was sie,
als die ersten Bürger, zuerst in sich gebrochen haben: der
Verführbarkeit durchs Untere, des Dranges zu Tier und Erde, des
Bilderdienstes. Weil sie den Begriff des Koscheren erfunden haben,
werden sie als Schweine verfolgt. Die Antisemiten machen sich zu
Vollstreckern des alten Testaments: sie sorgen dafür, daß die Juden,
da sie vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, zu Erde werden.
http://www.antisemitismus.net/theorie/adorno-5.htm)
--
Mein Führer, I can walk!
<https://www.refrat.de/sowi2/images/16_strangelove.jpg>
<http://www.gonemovies.com/WWW/Drama/Drama/StrangeloveMeinFuhrer.mp3>
do it
Geh du voran!
--
Mein Führer, I can walk!
<https://www.refrat.de/sowi2/images/16_strangelove.jpg>
<http://www.gonemovies.com/WWW/Drama/Drama/StrangeloveMeinFuhrer.mp3>
Lorbas
2008-11-07 17:46:35 UTC
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Post by Peter Walther
Post by Peter Walther
Elemente des Antisemitismus - Grenzen der Aufklärung
--
Mein Führer, I can walk!
<https://www.refrat.de/sowi2/images/16_strangelove.jpg>
<http://www.gonemovies.com/WWW/Drama/Drama/StrangeloveMeinFuhrer.mp3>
do it
Geh du voran!
--
Mein Führer, I can walk!
<https://www.refrat.de/sowi2/images/16_strangelove.jpg>
<http://www.gonemovies.com/WWW/Drama/Drama/StrangeloveMeinFuhrer.mp3>
Du bist es doch, der ständig mit seinem Führer spricht, nicht ich. Also
entäusche ihn nicht
Diedrich Dirks
2008-11-07 18:14:56 UTC
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Post by Peter Walther
Post by Peter Walther
Elemente des Antisemitismus - Grenzen der Aufklärung
Von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno
aus: Dialektik der Aufklärung - Philosophische Fragmente.
Elektronische Quelle: http://www.nadir.org
"Ich kann dich ja nicht leiden - Vergiß das nicht so leicht" sagt
Siegfried
zu Mime, der um seine Liebe wirbt. Die alte Antwort aller Antisemiten
ist die Berufung auf Idiosynkrasie. Davon, ob der Inhalt der
Idiosynkrasie zum Begriff erhoben, das Sinnlose seiner selbst
innewird, hängt die Emanzipation der Gesellschaft vom Antisemitismus
ab. Idiosynkrasie aber heftet sich an Besonderes. Als natürlich gilt
das Allgemeine, das, was sich in die Zweckzusammenhänge der
Gesellschaft einfügt. Natur aber, die sich nicht durch die Kanäle der
begrifflichen Ordnung zum Zweckvollen geläutert hat, der schrille
Laut des Griffels auf Schiefer, der durch und durch geht, der haut
goût, der an Dreck und Verwesung gemahnt, der Schweiß, der auf der
Stirn des Beflissenen sichtbar wird; was immer nicht ganz mitgekommen
ist oder die Verbote verletzt, in denen der Fortschritt der
Jahrhunderte sich sedimentiert, wirkt penetrant und fordert
zwangshaften Abscheu heraus.
Die Motive, auf die Idiosynkrasie anspricht, erinnern an die
Zeichen der Gefahr, bei deren Laut das Haar sich sträubte und das
Herz stillstand. In der Idiosynkrasie entziehen sich einzelne Organe
wieder der Herrschaft des Subjekts; selbständig gehorchen sie
biologisch fundamentalen Reizen. Das Ich, das in solchen Reaktionen,
wie der Erstarrung von Haut, Muskel, Glied sich erfährt, ist ihrer
doch nicht ganz mächtig. Für Augenblicke vollziehen sie die
Angleichung an die umgebende unbewegte Natur. Indem aber das Bewegte
dem Unbewegten, das entfaltetere Leben bloßer Natur sich nähert,
entfremdet es sich ihr zugleich, denn unbewegte Natur, zu der, wie
Daphne, Lebendiges in höchster Erregung zu werden trachtet, ist
einzig der äußerlichsten, der räumlichen Beziehung fähig. Der Raum
ist die absolute Entfremdung. Wo Menschliches werden will wie Natur,
verhärtet es sich zugleich gegen sie. Schutz als Schrecken ist eine
Form der Mimikry. Jene Erstarrungsreaktionen am Menschen sind
archaische Schemata der Selbsterhaltung: das Leben zahlt den Zoll für
seinen Fortbestand durch Angleichung ans Tote.
Zivilisation hat anstelle der organischen Anschmiegung ans andere,
anstelle
des eigentlich mimetischen Verhaltens, zunächst in der magischen
Phase, die organisierte Handhabung der Mimesis und schließlich, in
der historischen, die rationale Praxis, die Arbeit, gesetzt.
Unbeherrschte Mimesis wird verfemt. Der Engel mit dem feurigen
Schwert, der die Menschen aus dem Paradies auf die Bahn des
technischen Fortschritts trieb, ist selbst das Sinnbild solchen
Fortschritts. Die Strenge, mit welcher im Laufe der Jahrtausende die
Herrschenden ihrem eigenen Nachwuchs wie den beherrschten Massen den
Rückfall in mimetische Daseinsweisen abschnitten, angefangen vom
religiösen Bildverbot über die Pädagogik, die den Kindern abgewöhnt,
kindisch zu sein, ist die Bedingung der Zivilisation.
Gesellschaftliche und individuelle Erziehung bestärkt die Menschen in
der objektivierenden Verhaltensweise von Arbeitenden und bewahrt sie
davor, sich wieder aufgehen zu lassen im Auf und Nieder der
umgebenden Natur. Alles Abgelenktwerden, ja, alle Hingabe hat einen
Zug von Mimikry. In der Verhärtung dagegen ist das Ich geschmiedet
worden. Durch seine Konstitution vollzieht sich der Übergang von
reflektorischer Mimesis zu beherrschter Reflexion. Anstelle der
leiblichen Angleichung an Natur tritt die "Rekognition im Begriff"
die Befassung des Verschiedenen unter Gleiches. Die Konstellation
aber, unter der Gleichheit sich herstellt, die unmittelbare der
Mimesis wie die vermittelte der Synthesis, die Angleichung ans Ding
im blinden Vollzug des Lebens wie die Vergleichung des Verdinglichten
in der wissenschaftlichen Begriffsbildung, bleibt die des Schreckens.
Die Gesellschaft setzt die drohende Natur fort als den dauernden,
organisierten Zwang, der, in den Individuen als konsequente
Selbsterhaltung sich reproduzierend, auf die Natur zurückschlägt als
gesellschaftliche Herrschaft über die Natur. Wissenschaft ist
Wiederholung, verfeinert zu beobachteter Regelmäßigkeit, aufbewahrt
in Stereotypen. Die mathematische Formel ist bewußt gehandhabte
Regression, wie schon der Zauber-Ritus war; sie ist die
sublimierteste Betätigung von Mimikry. Technik vollzieht die
Anpassung ans Tote im Dienste der Selbsterhaltung nicht mehr wie
Magie durch körperliche Nachahmung der äußeren Natur, sondern durch
Automatisierung der geistigen Prozesse, durch ihre Umwandlung in
blinde Abläufe. Mit ihrem Triumph werden die menschlichen Äußerungen
sowohl beherrschbar als zwangsmäßig. Von der Angleichung an die Natur
bleibt allein die Verhärtung gegen diese übrig. Die Schutz- und
Schreckfarbe heute ist die blinde Naturbeherrschung, die mit der
weitblickenden Zweckhaftigkeit identisch ist.
In der bürgerlichen Produktionsweise wird das untilgbar mimetische
Erbe aller Praxis dem Vergessen überantwortet. Das erbarmungslose
Verbot des Rückfalls wird selber zum bloßen Verhängnis, die Versagung
ist so total geworden, daß sie nicht mehr zum bewußten Vollzug
gelangt. Die von Zivilisation Geblendeten erfahren ihre eigenen
tabuierten mimetischen Züge erst an manchen Gesten und
Verhaltensweisen, die ihnen bei anderen begegnen, und als isolierte
Reste, als beschämende Rudimente in der rationalisierten Umwelt
auffallen. Was als Fremdes abstößt, ist nur allzu vertraut. Es ist
die ansteckende Gestik der von Zivilisation unterdrückten
Unmittelbarkeit: Berühren, Anschmiegen, Beschwichtigen, Zureden.
Anstößig heute ist das Unzeitgemäße jener Regungen. Sie scheinen die
längst verdinglichten menschlichen Beziehungen wieder in persönliche
Machtverhältnisse zurückzuübersetzen, indem sie den Käufer durch
Schmeicheln, den Schuldner durch Drohen, den Gläubiger durch Flehen
zu erweichen suchen. Peinlich wirkt schließlich jede Regung
überhaupt, Aufregung ist minder. Aller nicht-manipulierte Ausdruck
erscheint als die Grimasse, die der manipulierte - im Kino, bei der
Lynchjustiz, in der Führer-Rede - immer war. Die undisziplinierte
Mimik aber ist das Brandzeichen der alten Herrschaft, in die lebende
Substanz der Beherrschten eingeprägt und kraft eines unbewußten
Nachahmungsprozesses durch jede frühe Kindheit hindurch auf
Generationen vererbt, vom Trödeljuden auf den Bankier. Solche Mimik
fordert die Wut heraus, weil sie angesichts der neuen
Produktionsverhältnisse die alte Angst zur Schau trägt, die man, um
in ihnen zu überleben, selbst vergessen mußte. Auf das zwangshafte
Moment, auf die Wut des Quälers und des Gequälten, die ungeschieden
in der Grimasse wieder erscheinen, spricht die eigene Wut im
Zivilisierten an. Dem ohnmächtigen Schein antwortet die tödliche
Wirklichkeit, dem Spiel der Ernst.
Gespielt wirkt die Grimasse, weil sie, anstatt ernsthaft Arbeit zu
tun, lieber die Unlust darstellt. Sie scheint sich dem Ernst des
Daseins zu entziehen, indem sie ihn fessellos eingesteht: so ist sie
unecht. Aber Ausdruck ist der schmerzliche Widerhall einer Übermacht,
Gewalt, ehe laut wird in der Klage. Er ist stets übertrieben, wie
aufrichtig er auch sei, denn, wie in jedem Werk der Kunst, scheint in
jedem Klagelaut die ganze Welt zu liegen. Angemessen ist nur die
Leistung. Sie und nicht Mimesis vermag dem Leiden Abbruch zu tun.
Aber ihre Konsequenz ist das unbewegte und ungerührte Antlitz,
schließlich am Ende des Zeitalters das Babygesicht der Männer der
Praxis, der Politiker, Pfaffen, Generaldirektoren und Racketeers. Die
heulende Stimme faschistischer Hetzredner und Lagervögte zeigt die
Kehrseite desselben gesellschaftlichen Sachverhalts. Das Geheul ist
so kalt wie das Geschäft. Sie enteignen noch den Klagelaut der Natur
und machen ihn zum Element ihrer Technik. Ihr Gebrüll ist fürs
der Schreckensschrei, der Schrecken bringt, wird angedreht. Vom
Wehlaut des Opfers, der zuerst Gewalt beim Namen rief, ja, vom bloßen
Wort, das die Opfer meint: Franzose, Neger, Jude, lassen sie sich
absichtlich in die Verzweiflung von Verfolgten versetzen, die
zuschlagen müssen. Sie sind das falsche Konterfei der schreckhaften
Mimesis. Sie reproduzieren die Unersättlichkeit der Macht in sich,
vor der sie sich fürchten. Alles soll gebraucht werden, alles soll
ihnen gehören. Die bloße Existenz des anderen ist das Ärgernis. Jeder
andere "macht sich breit" und muß in seine Schranken verwiesen
werden, die des schrankenlosen Graues. Was Unterschlupf sucht, soll
ihn nicht finden; denen, die ausdrücken, wonach alle süchtig sind,
den Frieden, die Heimat, die Freiheit: den Nomaden und Gauklern hat
man seit je das Heimatrecht vermehrt. Was einer fürchtet, wird ihm
angetan. Selbst die letzte Ruhe soll keine sein. Die Verwüstung der
Friedhöfe ist keine Ausschreitung des Antisemitismus, sie ist er
selbst. Die Vertriebenen erwecken zwangshaft die Lust zu vertreiben.
Am Zeichen, das Gewalt an ihnen hinterlassen hat, entzündet endlos
sich Gewalt. Getilgt soll werden, was bloß vegetieren will. In den
chaotisch-regelhaften Fluchtreaktionen der niederen Tiere, in den
Figuren des Gewimmels, in den konvulsivischen Gesten von Gemarterten
stellt sich dar, was am armen Leben trotz allem sich nicht ganz
beherrschen läßt: der mimetische Impuls. Im Todeskampf der Kreatur,
am äußersten Gegenpol der Freiheit, scheint die Freiheit
unwiderstehlich als die durchkreuzte Bestimmung der Materie durch.
Dagegen richtet sich die Idiosynkrasie, die der Antisemitismus als
Motiv vorgibt.
Die seelische Energie, die der politische Antisemitismus einspannt,
ist solche rationalisierte Idiosynkrasie. Alle die Vorwände, in denen
Führer und Gefolgschaft sich verstehen, taugen dazu, daß man ohne
offenkundige Verletzung des Realitätsprinzips, gleichsam in Ehren,
der mimetischen Verlockung nachgeben kann. Sie können den Juden nicht
leiden und imitieren ihn immerzu. Kein Antisemit, dem es nicht im
Blute läge, nachzuahmen, was ihm Jude heißt. Das sind immer selbst
mimetische Chiffren: die argumentierende Handbewegung, der singende
Tonfall, wie er unabhängig vom Urteilssinn ein bewegtes Bild von
Sache und Gefühl malt, die Nase, das physiognomische principium
individuationis, ein Schriftzeichen gleichsam, das dem Einzelnen den
besonderen Charakter ins Gesicht schreibt. In den vieldeutigen
Neigungen der Riechlust lebt die alte Sehnsucht nach dem Unteren
fort, nach der unmittelbaren Vereinigung mit umgebender Natur, mit
Erde und Schlamm. Von allen Sinnen zeugt der Akt des Reichens, das
angezogen wird, ohne zu vergegenständlichen, am sinnlichsten von dem
Drang, ans andere sich zu verlieren und gleich zu werden. Darum ist
Geruch, als Wahrnehmung wie als Wahrgenommenes - beide werden eins im
Vollzug - mehr Ausdruck als andere Sinne. Im Sehen bleibt man, wer
man ist, im Riechen geht man auf. So gilt der Zivilisation Geruch als
Schmach, als Zeichen niederer sozialer Schichten, minderer Rassen und
unedler Tiere. Dem Zivilisierten ist Hingabe an solche Lust nur
gestattet, wenn das Verbot durch Rationalisierung im Dienst wirklich
oder scheinbar praktischer Zwecke suspendiert wird. Man darf dem
verpönten Trieb frönen, wenn außer Zweifel steht, daß es seiner
Ausrottung gilt. Das ist die Erscheinung des Spaßes oder des Ulks. Er
ist die elende Parodie der Erfüllung. Als verachtete, sich selbst
verachtende, wird die mimetische Funktion hämisch genossen. Wer
Gerüche wittert, um sie zu tilgen, "schlechte" Gerüche, darf das
Schnuppern nach Herzenslust nachahmen, das am Geruch seine
unrationalisierte Freude hat. Indem der Zivilisierte die versagte
Regung durch seine unbedingte Identifikation mit der versagenden
Instanz desinfiziert, wird sie durchgelassen. Wenn sie die Schwelle
passiert, stellt Lachen sich ein. Das ist das Schema der
antisemitischen Reaktionsweise. Um den Augenblick der autoritären
Freigabe des Verbotenen zu zelebrieren, versammeln sich die
Antisemiten, er allein macht sie zum Kollektiv, er konstituiert die
Gemeinschaft der Artgenossen. Ihr Getöse ist das organisierte
Gelächter. Je grauenvoller Anklagen und Drohungen, je größer die Wut,
um so zwingender zugleich der Hohn. Wut, Hohn und vergiftete
Nachahmung sind eigentlich dasselbe. Der Sinn des faschistischen
Formelwesens, der ritualen Disziplin, der Uniformen und der gesamten
vorgeblich irrationalen Apparatur ist es, mimetisches Verhalten zu
ermöglichen. Die ausgeklügelten Symbole, die jeder
konterrevolutionären Bewegung eigen sind, die Totenköpfe und
Vermummungen, der barbarische Trommelschlag, das monotone Wiederholen
von Worten und Gesten sind ebensoviel organisierte Nachahmung
magischer Praktiken, die Mimesis der Mimesis. Der Führer mit dem
Schmierengesicht und dem Charisma der andrehbaren Hysterie führt den
Reigen. Seine Vorstellung leistet stellvertretend und im Bilde, was
allen anderen in der Realität vermehrt ist. Hitler kann gestikulieren
wie ein Clown, Mussolini falsche Töne wagen wie ein Provinztenor,
Goebbels geläufig reden wie der jüdische Agent, den er zu ermorden
empfiehlt, Coughlin Liebe predigen wie nur der Heilend, dessen
Kreuzigung er darstellt, auf daß stets wieder Blut vergossen werde.
Der Faschismus ist totalitär auch darin, daß er die Rebellion der
unterdrückten Natur gegen die Herrschaft unmittelbar der Herrschaft
nutzbar zu machen strebt.
Dieser Mechanismus bedarf der Juden. Ihre künstlich gesteigerte
Sichtbarkeit wirkt auf den legitimen Sohn der gentilen Zivilisation
gleichsam als magnetisches Feld. Indem der Verwurzelte an seiner
Differenz vom Juden die Gleichheit, das Menschliche, gewahrt, wird in
ihm das Gefühl des Gegensatzes, der Fremdheit, induziert. So werden
die tabuierten, der Arbeit in ihrer herrschenden Ordnung
zuwiderlaufenden Regungen in konformierende Idiosynkrasien umgesetzt.
Die ökonomische Position der Juden, der letzten betrogenen Betrüger
der liberalistischen Ideologie, bietet dagegen keinen zuverlässigen
Schutz. Da sie zur Erzeugung jener seelischen Induktionsströme so
geeignet sind, werden sie zu solchen Funktionen willenlos
bereitgestellt. Sie teilen das Schicksal der rebellierenden Natur,
für die sie der Faschismus einsetzt: sie werden blind und
scharfsichtig gebraucht. Es verschlägt wenig, ob die Juden als
Individuen wirklich noch jene mimetischen Züge tragen, die böse
Ansteckung bewirken, oder ob sie jeweils unterschoben werden. Haben
die ökonomischen Machthaber ihre Angst vor der Heranziehung
faschistischer Sachwalter erst einmal überwunden, so stellt sich den
Juden gegenüber die Harmonie der Volksgemeinschaft automatisch her.
Sie werden von der Herrschaft preisgegeben, wenn diese kraft ihrer
fortschreitenden Entfremdung von Natur in bloße Natur zurückschlägt.
Den Juden insgesamt wird der Vorwurf der verbotenen Magie, des
blutigen Rituals gemacht. Verkleidet als Anklage erst feiert das
unterschwellige Gelüste der Einheimischen, zur mimetischen
Opferpraxis zurückzukehren, in deren eigenem Bewußtsein fröhliche
Urständ. Ist alles Grauen der zivilisatorisch erledigten Vorzeit
durch Projektion auf die Juden als rationales Interesse
rehabilitiert, so gibt es kein Halten mehr. Es kann real vollstreckt
werden, und die Vollstreckung des Bösen übertrifft noch den bösen
Inhalt der Projektion. Die völkischen Phantasien jüdischer
Verbrechen, der Kindermorde und sadistischen Exzesse, der
Volksvergiftung und internationalen Verschwörung definieren genau den
antisemitischen Wunschtraum und bleiben hinter seiner Verwirklichung
zurück. Ist es einmal so weit, dann erscheint das bloße Wort Jude als
die blutige Grimasse, deren Abbild die Hakenkreuzfahne - Totenschädel
und gerädertes Kreuz in einem - entrollt; daß einer Jude heißt, wirkt
als die Aufforderung, ihn zuzurichten, bis er dem Bilde gleicht.
Zivilisation ist der Sieg der Gesellschaft über Natur, der alles in
bloße Natur verwandelt.
Die Juden selber haben daran durch die Jahrtausende teilgehabt, mit
Aufklärung nicht weniger als mit Zynismus. Das älteste überlebende
Patriarchat, die Inkarnation des Monotheismus, haben sie die Tabus in
zivilisatorische Maximen verwandelt, da die anderen noch bei der
Magie hielten. Den Juden schien gelungen, worum das Christentum
vergebens sich mühte: die Entmächtigung der Magie vermöge ihrer
eigenen Kraft, die als Gottesdienst sich wider sich selber kehrt. Sie
haben die Angleichung an Natur nicht sowohl ausgerottet als sie
aufgehoben in den reinen Pflichten des Rituals. Damit haben sie ihr
das versöhnende Gedächtnis bewahrt, ohne durchs Symbol in Mythologie
zurückzufallen. So gelten sie der fortgeschrittenen Zivilisation für
zurückgeblieben und allzu weit voran, für ähnlich und unähnlich, für
gescheit und dumm. Sie werden dessen schuldig gesprochen, was sie,
als die ersten Bürger, zuerst in sich gebrochen haben: der
Verführbarkeit durchs Untere, des Dranges zu Tier und Erde, des
Bilderdienstes. Weil sie den Begriff des Koscheren erfunden haben,
werden sie als Schweine verfolgt. Die Antisemiten machen sich zu
Vollstreckern des alten Testaments: sie sorgen dafür, daß die Juden,
da sie vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, zu Erde werden.
http://www.antisemitismus.net/theorie/adorno-5.htm)
--
Mein Führer, I can walk!
<https://www.refrat.de/sowi2/images/16_strangelove.jpg>
<http://www.gonemovies.com/WWW/Drama/Drama/StrangeloveMeinFuhrer.mp3>
do it
Geh du voran!
--
Mein Führer, I can walk!
<https://www.refrat.de/sowi2/images/16_strangelove.jpg>
<http://www.gonemovies.com/WWW/Drama/Drama/StrangeloveMeinFuhrer.mp3>
noch'n Fullquote, nur weil's so schön ist ...

Diedrich

F'up2: <news:de.soc.politik.misc>

X'Posted to: <news:bln.politik.rassismus>,<news:de.soc.politik.misc>
Lorbas
2008-11-07 18:22:17 UTC
Permalink
Post by Peter Walther
Post by Peter Walther
Elemente des Antisemitismus - Grenzen der Aufklärung
Von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno
aus: Dialektik der Aufklärung - Philosophische Fragmente.
Elektronische Quelle: http://www.nadir.org
"Ich kann dich ja nicht leiden - Vergiß das nicht so leicht" sagt
Siegfried
zu Mime, der um seine Liebe wirbt. Die alte Antwort aller Antisemiten
ist die Berufung auf Idiosynkrasie. Davon, ob der Inhalt der
Idiosynkrasie zum Begriff erhoben, das Sinnlose seiner selbst
innewird, hängt die Emanzipation der Gesellschaft vom Antisemitismus
ab. Idiosynkrasie aber heftet sich an Besonderes. Als natürlich gilt
das Allgemeine, das, was sich in die Zweckzusammenhänge der
Gesellschaft einfügt. Natur aber, die sich nicht durch die Kanäle der
begrifflichen Ordnung zum Zweckvollen geläutert hat, der schrille
Laut des Griffels auf Schiefer, der durch und durch geht, der haut
goût, der an Dreck und Verwesung gemahnt, der Schweiß, der auf der
Stirn des Beflissenen sichtbar wird; was immer nicht ganz mitgekommen
ist oder die Verbote verletzt, in denen der Fortschritt der
Jahrhunderte sich sedimentiert, wirkt penetrant und fordert
zwangshaften Abscheu heraus.
Die Motive, auf die Idiosynkrasie anspricht, erinnern an die
Zeichen der Gefahr, bei deren Laut das Haar sich sträubte und das
Herz stillstand. In der Idiosynkrasie entziehen sich einzelne Organe
wieder der Herrschaft des Subjekts; selbständig gehorchen sie
biologisch fundamentalen Reizen. Das Ich, das in solchen Reaktionen,
wie der Erstarrung von Haut, Muskel, Glied sich erfährt, ist ihrer
doch nicht ganz mächtig. Für Augenblicke vollziehen sie die
Angleichung an die umgebende unbewegte Natur. Indem aber das Bewegte
dem Unbewegten, das entfaltetere Leben bloßer Natur sich nähert,
entfremdet es sich ihr zugleich, denn unbewegte Natur, zu der, wie
Daphne, Lebendiges in höchster Erregung zu werden trachtet, ist
einzig der äußerlichsten, der räumlichen Beziehung fähig. Der Raum
ist die absolute Entfremdung. Wo Menschliches werden will wie Natur,
verhärtet es sich zugleich gegen sie. Schutz als Schrecken ist eine
Form der Mimikry. Jene Erstarrungsreaktionen am Menschen sind
archaische Schemata der Selbsterhaltung: das Leben zahlt den Zoll für
seinen Fortbestand durch Angleichung ans Tote.
Zivilisation hat anstelle der organischen Anschmiegung ans andere,
anstelle
des eigentlich mimetischen Verhaltens, zunächst in der magischen
Phase, die organisierte Handhabung der Mimesis und schließlich, in
der historischen, die rationale Praxis, die Arbeit, gesetzt.
Unbeherrschte Mimesis wird verfemt. Der Engel mit dem feurigen
Schwert, der die Menschen aus dem Paradies auf die Bahn des
technischen Fortschritts trieb, ist selbst das Sinnbild solchen
Fortschritts. Die Strenge, mit welcher im Laufe der Jahrtausende die
Herrschenden ihrem eigenen Nachwuchs wie den beherrschten Massen den
Rückfall in mimetische Daseinsweisen abschnitten, angefangen vom
religiösen Bildverbot über die Pädagogik, die den Kindern abgewöhnt,
kindisch zu sein, ist die Bedingung der Zivilisation.
Gesellschaftliche und individuelle Erziehung bestärkt die Menschen in
der objektivierenden Verhaltensweise von Arbeitenden und bewahrt sie
davor, sich wieder aufgehen zu lassen im Auf und Nieder der
umgebenden Natur. Alles Abgelenktwerden, ja, alle Hingabe hat einen
Zug von Mimikry. In der Verhärtung dagegen ist das Ich geschmiedet
worden. Durch seine Konstitution vollzieht sich der Übergang von
reflektorischer Mimesis zu beherrschter Reflexion. Anstelle der
leiblichen Angleichung an Natur tritt die "Rekognition im Begriff"
die Befassung des Verschiedenen unter Gleiches. Die Konstellation
aber, unter der Gleichheit sich herstellt, die unmittelbare der
Mimesis wie die vermittelte der Synthesis, die Angleichung ans Ding
im blinden Vollzug des Lebens wie die Vergleichung des Verdinglichten
in der wissenschaftlichen Begriffsbildung, bleibt die des Schreckens.
Die Gesellschaft setzt die drohende Natur fort als den dauernden,
organisierten Zwang, der, in den Individuen als konsequente
Selbsterhaltung sich reproduzierend, auf die Natur zurückschlägt als
gesellschaftliche Herrschaft über die Natur. Wissenschaft ist
Wiederholung, verfeinert zu beobachteter Regelmäßigkeit, aufbewahrt
in Stereotypen. Die mathematische Formel ist bewußt gehandhabte
Regression, wie schon der Zauber-Ritus war; sie ist die
sublimierteste Betätigung von Mimikry. Technik vollzieht die
Anpassung ans Tote im Dienste der Selbsterhaltung nicht mehr wie
Magie durch körperliche Nachahmung der äußeren Natur, sondern durch
Automatisierung der geistigen Prozesse, durch ihre Umwandlung in
blinde Abläufe. Mit ihrem Triumph werden die menschlichen Äußerungen
sowohl beherrschbar als zwangsmäßig. Von der Angleichung an die Natur
bleibt allein die Verhärtung gegen diese übrig. Die Schutz- und
Schreckfarbe heute ist die blinde Naturbeherrschung, die mit der
weitblickenden Zweckhaftigkeit identisch ist.
In der bürgerlichen Produktionsweise wird das untilgbar mimetische
Erbe aller Praxis dem Vergessen überantwortet. Das erbarmungslose
Verbot des Rückfalls wird selber zum bloßen Verhängnis, die Versagung
ist so total geworden, daß sie nicht mehr zum bewußten Vollzug
gelangt. Die von Zivilisation Geblendeten erfahren ihre eigenen
tabuierten mimetischen Züge erst an manchen Gesten und
Verhaltensweisen, die ihnen bei anderen begegnen, und als isolierte
Reste, als beschämende Rudimente in der rationalisierten Umwelt
auffallen. Was als Fremdes abstößt, ist nur allzu vertraut. Es ist
die ansteckende Gestik der von Zivilisation unterdrückten
Unmittelbarkeit: Berühren, Anschmiegen, Beschwichtigen, Zureden.
Anstößig heute ist das Unzeitgemäße jener Regungen. Sie scheinen die
längst verdinglichten menschlichen Beziehungen wieder in persönliche
Machtverhältnisse zurückzuübersetzen, indem sie den Käufer durch
Schmeicheln, den Schuldner durch Drohen, den Gläubiger durch Flehen
zu erweichen suchen. Peinlich wirkt schließlich jede Regung
überhaupt, Aufregung ist minder. Aller nicht-manipulierte Ausdruck
erscheint als die Grimasse, die der manipulierte - im Kino, bei der
Lynchjustiz, in der Führer-Rede - immer war. Die undisziplinierte
Mimik aber ist das Brandzeichen der alten Herrschaft, in die lebende
Substanz der Beherrschten eingeprägt und kraft eines unbewußten
Nachahmungsprozesses durch jede frühe Kindheit hindurch auf
Generationen vererbt, vom Trödeljuden auf den Bankier. Solche Mimik
fordert die Wut heraus, weil sie angesichts der neuen
Produktionsverhältnisse die alte Angst zur Schau trägt, die man, um
in ihnen zu überleben, selbst vergessen mußte. Auf das zwangshafte
Moment, auf die Wut des Quälers und des Gequälten, die ungeschieden
in der Grimasse wieder erscheinen, spricht die eigene Wut im
Zivilisierten an. Dem ohnmächtigen Schein antwortet die tödliche
Wirklichkeit, dem Spiel der Ernst.
Gespielt wirkt die Grimasse, weil sie, anstatt ernsthaft Arbeit zu
tun, lieber die Unlust darstellt. Sie scheint sich dem Ernst des
Daseins zu entziehen, indem sie ihn fessellos eingesteht: so ist sie
unecht. Aber Ausdruck ist der schmerzliche Widerhall einer Übermacht,
Gewalt, ehe laut wird in der Klage. Er ist stets übertrieben, wie
aufrichtig er auch sei, denn, wie in jedem Werk der Kunst, scheint in
jedem Klagelaut die ganze Welt zu liegen. Angemessen ist nur die
Leistung. Sie und nicht Mimesis vermag dem Leiden Abbruch zu tun.
Aber ihre Konsequenz ist das unbewegte und ungerührte Antlitz,
schließlich am Ende des Zeitalters das Babygesicht der Männer der
Praxis, der Politiker, Pfaffen, Generaldirektoren und Racketeers. Die
heulende Stimme faschistischer Hetzredner und Lagervögte zeigt die
Kehrseite desselben gesellschaftlichen Sachverhalts. Das Geheul ist
so kalt wie das Geschäft. Sie enteignen noch den Klagelaut der Natur
und machen ihn zum Element ihrer Technik. Ihr Gebrüll ist fürs
der Schreckensschrei, der Schrecken bringt, wird angedreht. Vom
Wehlaut des Opfers, der zuerst Gewalt beim Namen rief, ja, vom bloßen
Wort, das die Opfer meint: Franzose, Neger, Jude, lassen sie sich
absichtlich in die Verzweiflung von Verfolgten versetzen, die
zuschlagen müssen. Sie sind das falsche Konterfei der schreckhaften
Mimesis. Sie reproduzieren die Unersättlichkeit der Macht in sich,
vor der sie sich fürchten. Alles soll gebraucht werden, alles soll
ihnen gehören. Die bloße Existenz des anderen ist das Ärgernis. Jeder
andere "macht sich breit" und muß in seine Schranken verwiesen
werden, die des schrankenlosen Graues. Was Unterschlupf sucht, soll
ihn nicht finden; denen, die ausdrücken, wonach alle süchtig sind,
den Frieden, die Heimat, die Freiheit: den Nomaden und Gauklern hat
man seit je das Heimatrecht vermehrt. Was einer fürchtet, wird ihm
angetan. Selbst die letzte Ruhe soll keine sein. Die Verwüstung der
Friedhöfe ist keine Ausschreitung des Antisemitismus, sie ist er
selbst. Die Vertriebenen erwecken zwangshaft die Lust zu vertreiben.
Am Zeichen, das Gewalt an ihnen hinterlassen hat, entzündet endlos
sich Gewalt. Getilgt soll werden, was bloß vegetieren will. In den
chaotisch-regelhaften Fluchtreaktionen der niederen Tiere, in den
Figuren des Gewimmels, in den konvulsivischen Gesten von Gemarterten
stellt sich dar, was am armen Leben trotz allem sich nicht ganz
beherrschen läßt: der mimetische Impuls. Im Todeskampf der Kreatur,
am äußersten Gegenpol der Freiheit, scheint die Freiheit
unwiderstehlich als die durchkreuzte Bestimmung der Materie durch.
Dagegen richtet sich die Idiosynkrasie, die der Antisemitismus als
Motiv vorgibt.
Die seelische Energie, die der politische Antisemitismus einspannt,
ist solche rationalisierte Idiosynkrasie. Alle die Vorwände, in denen
Führer und Gefolgschaft sich verstehen, taugen dazu, daß man ohne
offenkundige Verletzung des Realitätsprinzips, gleichsam in Ehren,
der mimetischen Verlockung nachgeben kann. Sie können den Juden nicht
leiden und imitieren ihn immerzu. Kein Antisemit, dem es nicht im
Blute läge, nachzuahmen, was ihm Jude heißt. Das sind immer selbst
mimetische Chiffren: die argumentierende Handbewegung, der singende
Tonfall, wie er unabhängig vom Urteilssinn ein bewegtes Bild von
Sache und Gefühl malt, die Nase, das physiognomische principium
individuationis, ein Schriftzeichen gleichsam, das dem Einzelnen den
besonderen Charakter ins Gesicht schreibt. In den vieldeutigen
Neigungen der Riechlust lebt die alte Sehnsucht nach dem Unteren
fort, nach der unmittelbaren Vereinigung mit umgebender Natur, mit
Erde und Schlamm. Von allen Sinnen zeugt der Akt des Reichens, das
angezogen wird, ohne zu vergegenständlichen, am sinnlichsten von dem
Drang, ans andere sich zu verlieren und gleich zu werden. Darum ist
Geruch, als Wahrnehmung wie als Wahrgenommenes - beide werden eins im
Vollzug - mehr Ausdruck als andere Sinne. Im Sehen bleibt man, wer
man ist, im Riechen geht man auf. So gilt der Zivilisation Geruch als
Schmach, als Zeichen niederer sozialer Schichten, minderer Rassen und
unedler Tiere. Dem Zivilisierten ist Hingabe an solche Lust nur
gestattet, wenn das Verbot durch Rationalisierung im Dienst wirklich
oder scheinbar praktischer Zwecke suspendiert wird. Man darf dem
verpönten Trieb frönen, wenn außer Zweifel steht, daß es seiner
Ausrottung gilt. Das ist die Erscheinung des Spaßes oder des Ulks. Er
ist die elende Parodie der Erfüllung. Als verachtete, sich selbst
verachtende, wird die mimetische Funktion hämisch genossen. Wer
Gerüche wittert, um sie zu tilgen, "schlechte" Gerüche, darf das
Schnuppern nach Herzenslust nachahmen, das am Geruch seine
unrationalisierte Freude hat. Indem der Zivilisierte die versagte
Regung durch seine unbedingte Identifikation mit der versagenden
Instanz desinfiziert, wird sie durchgelassen. Wenn sie die Schwelle
passiert, stellt Lachen sich ein. Das ist das Schema der
antisemitischen Reaktionsweise. Um den Augenblick der autoritären
Freigabe des Verbotenen zu zelebrieren, versammeln sich die
Antisemiten, er allein macht sie zum Kollektiv, er konstituiert die
Gemeinschaft der Artgenossen. Ihr Getöse ist das organisierte
Gelächter. Je grauenvoller Anklagen und Drohungen, je größer die Wut,
um so zwingender zugleich der Hohn. Wut, Hohn und vergiftete
Nachahmung sind eigentlich dasselbe. Der Sinn des faschistischen
Formelwesens, der ritualen Disziplin, der Uniformen und der gesamten
vorgeblich irrationalen Apparatur ist es, mimetisches Verhalten zu
ermöglichen. Die ausgeklügelten Symbole, die jeder
konterrevolutionären Bewegung eigen sind, die Totenköpfe und
Vermummungen, der barbarische Trommelschlag, das monotone Wiederholen
von Worten und Gesten sind ebensoviel organisierte Nachahmung
magischer Praktiken, die Mimesis der Mimesis. Der Führer mit dem
Schmierengesicht und dem Charisma der andrehbaren Hysterie führt den
Reigen. Seine Vorstellung leistet stellvertretend und im Bilde, was
allen anderen in der Realität vermehrt ist. Hitler kann gestikulieren
wie ein Clown, Mussolini falsche Töne wagen wie ein Provinztenor,
Goebbels geläufig reden wie der jüdische Agent, den er zu ermorden
empfiehlt, Coughlin Liebe predigen wie nur der Heilend, dessen
Kreuzigung er darstellt, auf daß stets wieder Blut vergossen werde.
Der Faschismus ist totalitär auch darin, daß er die Rebellion der
unterdrückten Natur gegen die Herrschaft unmittelbar der Herrschaft
nutzbar zu machen strebt.
Dieser Mechanismus bedarf der Juden. Ihre künstlich gesteigerte
Sichtbarkeit wirkt auf den legitimen Sohn der gentilen Zivilisation
gleichsam als magnetisches Feld. Indem der Verwurzelte an seiner
Differenz vom Juden die Gleichheit, das Menschliche, gewahrt, wird in
ihm das Gefühl des Gegensatzes, der Fremdheit, induziert. So werden
die tabuierten, der Arbeit in ihrer herrschenden Ordnung
zuwiderlaufenden Regungen in konformierende Idiosynkrasien umgesetzt.
Die ökonomische Position der Juden, der letzten betrogenen Betrüger
der liberalistischen Ideologie, bietet dagegen keinen zuverlässigen
Schutz. Da sie zur Erzeugung jener seelischen Induktionsströme so
geeignet sind, werden sie zu solchen Funktionen willenlos
bereitgestellt. Sie teilen das Schicksal der rebellierenden Natur,
für die sie der Faschismus einsetzt: sie werden blind und
scharfsichtig gebraucht. Es verschlägt wenig, ob die Juden als
Individuen wirklich noch jene mimetischen Züge tragen, die böse
Ansteckung bewirken, oder ob sie jeweils unterschoben werden. Haben
die ökonomischen Machthaber ihre Angst vor der Heranziehung
faschistischer Sachwalter erst einmal überwunden, so stellt sich den
Juden gegenüber die Harmonie der Volksgemeinschaft automatisch her.
Sie werden von der Herrschaft preisgegeben, wenn diese kraft ihrer
fortschreitenden Entfremdung von Natur in bloße Natur zurückschlägt.
Den Juden insgesamt wird der Vorwurf der verbotenen Magie, des
blutigen Rituals gemacht. Verkleidet als Anklage erst feiert das
unterschwellige Gelüste der Einheimischen, zur mimetischen
Opferpraxis zurückzukehren, in deren eigenem Bewußtsein fröhliche
Urständ. Ist alles Grauen der zivilisatorisch erledigten Vorzeit
durch Projektion auf die Juden als rationales Interesse
rehabilitiert, so gibt es kein Halten mehr. Es kann real vollstreckt
werden, und die Vollstreckung des Bösen übertrifft noch den bösen
Inhalt der Projektion. Die völkischen Phantasien jüdischer
Verbrechen, der Kindermorde und sadistischen Exzesse, der
Volksvergiftung und internationalen Verschwörung definieren genau den
antisemitischen Wunschtraum und bleiben hinter seiner Verwirklichung
zurück. Ist es einmal so weit, dann erscheint das bloße Wort Jude als
die blutige Grimasse, deren Abbild die Hakenkreuzfahne - Totenschädel
und gerädertes Kreuz in einem - entrollt; daß einer Jude heißt, wirkt
als die Aufforderung, ihn zuzurichten, bis er dem Bilde gleicht.
Zivilisation ist der Sieg der Gesellschaft über Natur, der alles in
bloße Natur verwandelt.
Die Juden selber haben daran durch die Jahrtausende teilgehabt, mit
Aufklärung nicht weniger als mit Zynismus. Das älteste überlebende
Patriarchat, die Inkarnation des Monotheismus, haben sie die Tabus in
zivilisatorische Maximen verwandelt, da die anderen noch bei der
Magie hielten. Den Juden schien gelungen, worum das Christentum
vergebens sich mühte: die Entmächtigung der Magie vermöge ihrer
eigenen Kraft, die als Gottesdienst sich wider sich selber kehrt. Sie
haben die Angleichung an Natur nicht sowohl ausgerottet als sie
aufgehoben in den reinen Pflichten des Rituals. Damit haben sie ihr
das versöhnende Gedächtnis bewahrt, ohne durchs Symbol in Mythologie
zurückzufallen. So gelten sie der fortgeschrittenen Zivilisation für
zurückgeblieben und allzu weit voran, für ähnlich und unähnlich, für
gescheit und dumm. Sie werden dessen schuldig gesprochen, was sie,
als die ersten Bürger, zuerst in sich gebrochen haben: der
Verführbarkeit durchs Untere, des Dranges zu Tier und Erde, des
Bilderdienstes. Weil sie den Begriff des Koscheren erfunden haben,
werden sie als Schweine verfolgt. Die Antisemiten machen sich zu
Vollstreckern des alten Testaments: sie sorgen dafür, daß die Juden,
da sie vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, zu Erde werden.
http://www.antisemitismus.net/theorie/adorno-5.htm)
--
Mein Führer, I can walk!
<https://www.refrat.de/sowi2/images/16_strangelove.jpg>
<http://www.gonemovies.com/WWW/Drama/Drama/StrangeloveMeinFuhrer.mp3>
do it
Geh du voran!
--
Mein Führer, I can walk!
<https://www.refrat.de/sowi2/images/16_strangelove.jpg>
<http://www.gonemovies.com/WWW/Drama/Drama/StrangeloveMeinFuhrer.mp3>
Lorbas
2008-11-07 22:48:46 UTC
Permalink
Lt. Peter Clarkson 20th AB hört sich verdammt nach dem Juden Jan
Perlwitz an. Ich glaube, man sollte diesem Juden erst dann wieder eine
gewisse Aufmerksamkeit zuteil kommen lassen, wenn ihm der Strick um
den
Hals gelegt wird.
Zitat Ende
http://de.altermedia.info/general/so-oder-so-droht-in-nahost-ein-nuklearer-holocaust-210708_15254.html
Dass ich nicht viele Freunde haette, soll daraus folgen, dass ein
anonymer Nazi auf der Nazi-website "Altermedia" mir einen "Strick um
den
Hals" gewuenscht haette? Aha.
Weiss jemand, wer sich hinter "Thorhammer" verbirgt?
willst du wieder denunzieren, viel Spass dabei. :-)
Das ist schon klar, dass der Plakatekleber der Nazis, Lothar Wedell, es
fuer eine "Denunziation" hielte, wenn ein Nazi, der zum Mord aufhetzt,
fuer solche Mordhetze angezeigt wuerde.
Er möchte doch nur, daß du dich diesen Mordphantasien beugst und deinen
Hals freiwillig und dankbar selbst hineinlegst. Alles andere wäre
zionistische Perfidie und eine erneute Bestätigung seines Antisemitismus.
Peter
--
was will man mehr als Mann?! - Arno Schmidt -
Hat er doch schon längst gemacht. Er lebt doch schon den sozialen
Verachtungstod aus und die wenigen Speichellecker die um ihn rum sind,
wollen ihn doch anschließend nur noch ausweiden.
Lorbas
2008-11-07 23:04:28 UTC
Permalink
im
Lt. Peter Clarkson 20th AB hört sich verdammt nach dem Juden Jan
Perlwitz an. Ich glaube, man sollte diesem Juden erst dann wieder
eine
gewisse Aufmerksamkeit zuteil kommen lassen, wenn ihm der Strick um
den
Hals gelegt wird.
[...]
Der Thorhammer fordert nicht zum Mord auf, sondern er fände dich als
Gesprächsstoff erst wieder interessant, wenn du eine Schlinge um den Hals
hättest.
Das ist ein billiger Versuch, deinen Kopf mittels typisch jüdischer
Haarspalterei aus der Schlinge zu ziehen.
Peter
--
Ich denke, ich werde irgendwann noch vernünftige Dinge tun,
zum Beispiel meinen Samen auf die Spermenbank tragen ab nun,
und nicht sterben, bis jedes Kind, das du auf der Straße siehst,
von meinem Blut und nach meinem Bilde angefertigt ist. - Hannes Wader -
Ich sehe es so, hier hält jemand dem Jan Perlwitz einen Spiegel vor das
Gesicht.
Was ist eigentlich der Grund , für so viel Symphatie der Herren Thorhammer
zu Jan Perlwitz?

Das mit der jüdischen Haarspalterei finde ich gut.
Lars Braesicke
2008-11-07 23:48:15 UTC
Permalink
Post by Lorbas
Was ist eigentlich der Grund , für so viel Symphatie der Herren
Thorhammer zu Jan Perlwitz?
Nazis halt.
Die haben einen Sack Reis an Gründen.
Who cares?

Lars

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